Die Bearbeitung von Asylanträgen stellt für einen Staat eine Belastung dar. Erstens ist es nämlich ein schwieriges und aufwändiges Unterfangen zu prüfen, ob ein Flüchtling tatsächlich verfolgt ist oder aus anderen Gründen in der Europäischen Union (EU) Aufnahme finden will. Ausweisdokumente und Aussagen müssen mühsam auf ihre Echtheit bzw. Wahrheit überprüft werden, teils sind keine Ausweisdokumente vorhanden. Zweitens muss der Flüchtling für die Zeit der Überprüfung untergebracht und versorgt werden. Unterbringung und Versorgung müssen rechts- und menschenrechtskonform erfolgen. Das ist mit Aufwand und Kosten verbunden. Je höher der Aufwand und die Kosten sind, desto größer sind die Widerstände, die sich seitens der Verwaltung und insbesondere auch seitens der Bevölkerung bilden können. Flüchtlinge mit ihrem andersartigen Aussehen, ihrer andersartigen Sprache und andersartigen Kultur drohen als Fremdkörper wahrgenommen zu werden, der das heimische vergleichsweise gute Sozialsystem ausnutzt und ein potenzieller Konkurrent auf dem Arbeitsmarkt ist.

Somit besteht die Gefahr, dass sich kein EU-Mitgliedstaat dazu bereit erklärt, den Asylantrag zu bearbeiten. Dann wandert der Flüchtling ohne Status von einem Staat zum anderen und sucht überall vergeblich um Zuflucht. Diese Situation wird als „refugee in orbit“ bezeichnet, was in etwa mit „kreisender Flüchtling“ übersetzt werden kann. Es muss also ein Verfahren gefunden werden, wonach sich ein Mitgliedstaat zur Bearbeitung des Asylantrags bereit erklärt oder zur Bearbeitung des Asylverfahrens verpflichtet wird. Ein solches Verfahren ist das sogenannte Dublin-Verfahren, das in mehreren Stufen weiterentwickelt wurde. Das Dublin-Verfahren legt fest, dass sich ein Flüchtling den Mitgliedstaat nicht selbst aussuchen darf, in dem er den Asylantrag stellt. Dann würde er nämlich wahrscheinlich „asylum shopping“ betreiben, also den Mitgliedstaat wählen, in dem er die höchste Wahrscheinlichkeit der Anerkennung, die besten Sozialleistungen und die besten Perspektiven zu erwarten hat, verbunden vielleicht mit persönlichen Beziehungen. Vielmehr ist nach klar definierten Regeln ein ganz bestimmter Mitgliedstaat zuständig. Das wesentliche Kriterium ist die Ersteinreise, also in welchem Land der Flüchtling EU-Territorium betreten hat.

Dieses Kriterium hat dazu geführt, dass Staaten, die auf den Fluchtrouten liegen, in einem Übermaß mit Asylanträgen belastet wurden, was zu Widerstand gegen dieses Kriterium und auch gegenüber dem Asylrecht als Ganzes geführt hat.

Schengener Abkommen und Schengener Durchführungsübereinkommen

Bereits in den Römischen Verträgen von 1958, mit denen die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg, die Niederlande und Italien die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (EAG, Euratom) ins Leben riefen, fand sich die Absicht, alle Hindernisse für den freien Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten zu beseitigen. Am 14. Juni 1985 setzten diese Staaten (mit Ausnahme Italiens) die Absicht um, indem sie das Abkommen von Schengen (einem Ort in Luxemburg an den Grenzen zu Deutschland und Frankreich) über den schrittweisen Abbau der Personenkontrollen an den Binnengrenzen zwischen den Vertragsparteien unterzeichneten.

Der schrittweise Abbau der Personenkontrollen an den Binnengrenzen erforderte Regelungen insbesondere bezüglich Polizei und Sicherheit, aber auch bezüglich der Zuständigkeit für Asylbegehren. Daher wurde am 19. Juni 1990 das Schengener Abkommen durch das Schengener Durchführungsübereinkommen ergänzt, das 1995 in Kraft trat.

Das Schengener Übereinkommen und das Schengener Durchführungsübereinkommen bilden zusammen mit den zugehörigen Vereinbarungen und Regeln den Schengen-Besitzstand, der im Jahr 1999 in den Rahmen der Europäischen Union (EU) einbezogen und in die EU-Gesetzgebung aufgenommen wurde. Der Vertrag von Lissabon hat den „Raum … ohne Binnengrenzen, in dem die Personenfreizügigkeit gewährleistet ist“, zu einem EU-Ziel gemacht.i

Dubliner Übereinkommen und Dubliner Verordnungen

Schon das Schengener Durchführungsübereinkommen enthielt einen Katalog von Zuständigkeitskriterien. Allerdings verfügte die EWG ursprünglich nicht über die Kompetenz, in Asylfragen Gesetze zu erlassen. Daher wurde das Schengener Durchführungsübereinkommen 1997 vom Dubliner Übereinkommen abgelöst, in das die Zuständigkeitskriterien nahezu identisch übernommen wurden.

Bei dem Dubliner Übereinkommen handelte es sich allerdings noch nicht um Gemeinschaftsrecht, sondern um zwischenstaatliche Abkommen. Erst mit dem Amsterdamer Vertrag, der 1997 beschlossen und unterzeichnet wurde und 1999 in Kraft trat, erwarb die EU die Kompetenz, das Asylrecht auf europäischer Ebene zu harmonisieren. Teil der Harmonisierung war die Schaffung der Dublin-II–Verordnung, die seit 2003 galt. Trotz starker Kritik an dem Dubliner Übereinkommen wurden seine grundsätzlichen Bestimmungen auch bei der Schaffung der Dublin-II-Verordnung im Wesentlichen beibehalten. Eine wesentliche Änderung stellte jedoch dar, dass gemäß der Dublin-II–Verordnung Familien bis zur erstinstanzlichen Entscheidung nicht getrennt werden, sondern in einem Mitgliedstaat gemeinsam das Asylverfahren durchlaufen sollten.ii

Das wesentliche Kriterium ist die Ersteinreise, also in welchem Land der Flüchtling EU-Territorium betreten hat. Das gilt unabhängig davon, ob der Antragsteller illegal eingereist ist oder über ein Einreisevisum oder über einen anderen Aufenthaltstitel verfügt. Wenn nicht festgestellt werden kann, wo die Einreise erfolgt ist, ist derjenige Mitgliedstaat zuständig, in dem sich der Antragsteller aufhält. Halten sich Familienangehörige, denen bereits der Flüchtlingsstatus gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention zugesprochen wurde, in einem Mitgliedstaat auf, so muss dieser das Verfahren durchführen, um dem Grundsatz der Familieneinheit zu entsprechen. Wird ein anderer Staat für zuständig gehalten, muss ein Übernahmegesuch an den betreffenden Staat gerichtet werden.

Die im Juni 2013 vom Europäischen Rat und Europäischen Parlament beschlossene Dublin-III-Verordnung nahm hinsichtlich des entscheidenden Kriteriums keine Änderungen vor. Sie weitete nur den Anwendungsbereich, das Recht auf Familienzusammenführung und das Recht auf Information des Antragstellers aus und schrieb das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gegen eine Überstellungsentscheidung fest. Darüber hinaus sollte ein Frühwarnsystem vor drohender Überlastung eines Mitgliedstaates warnen. Um vorzubeugen, dass ein Flüchtling in unterschiedlichen Mitgliedstaaten der EU einen Asylantrag stellt, um dadurch seine Chancen auf Anerkennung zu erhöhen, wurde Eurodac als computergestütztes Vergleichssystem für Fingerabdrücke entwickelt. Von jedem Asylbewerber und jeder Person, die ohne Einreise- und Aufenthaltsberechtigung aufgegriffen wird, sollte von nun an ein Fingerabdruck entnommen werden. Wenn der Fingerabdruck schon in Eurodac registriert war, war der Flüchtling schon in der EU weitergereist und hatte möglicherweise schon mindestens einen weiteren Asylantrag gestellt.iii

Scheitern des Dublin-Verfahrens

Das Dublin-Verfahren ist aus verschiedenen Gründen gescheitert. Erstens hat es zu einer Überlastung derjenigen EU-Mitgliedstaaten geführt, die auf den Fluchtrouten liegen. Aufgrund der Überlastung wurden die Asylanträge nicht ordnungsgemäß bearbeitet oder die (ordnungsgemäße) Bearbeitung wurde verweigert und Flüchtlinge weitergeschickt. Die Überlastung förderte auch das Bestreben, den Grenzschutz zu verstärken und Flüchtlinge im Rahmen der „Bekämpfung der illegalen Migration“ gar nicht erst ins Land zu lassen. Flüchtlinge sind ja zunächst einmal irreguläre Migranten. Ob sie schutzbedürftig sind, muss ja erst noch festgestellt werden. Sobald sie aber einen EU-Mitgliedstaat erreicht haben und für die Prüfung des Asylantrags vorübergehend aufgenommen worden sind, haben sie sozusagen einen Fuß in der Tür zur EU. Zwar ist das Schutzrecht ein vorübergehendes Recht, aber da die Fluchtgründe oftmals über viele Jahre bestehen bleiben, läuft es in der Realität auf ein dauerhaftes Recht hinaus. Flüchtlinge werden zu Einwanderern, was – insbesondere bei hohen Flüchtlingszahlen – die Akzeptanz bei der einheimischen Bevölkerung senkt. Selbst wenn ein Asylantrag abgelehnt wird, kann ein Asylbewerber aus verschiedenen Gründen nicht unbedingt ohne Weiteres in sein Herkunftsland abgeschoben werden. Auch das senkt die Akzeptanz von Asylbewerbern. Abschottung erscheint da als ein Weg, des Problems Herr zu werden.

Ein weiterer entscheidender Grund für das Scheitern ist, dass die rechtlichen und sozialen Standards in den EU-Mitgliedstaaten nicht harmonisiert wurden. Das Asylrecht bleibt in den Mitgliedstaaten verankert, sie sind es, die Asyl gewähren. Ein Mitgliedstaat mit niedrigen Standards hat weniger Mühen und Kosten als ein Mitgliedstaat mit hohen Standards. Letzterer ist für Flüchtlinge attraktiver, womit sie ihn von vornherein zu erreichen suchen. Die rechtlichen und sozialen Standards allein sind für Flüchtlinge bei der Wahl des Ziellandes jedoch noch nicht entscheidend. Entscheidend ist vielmehr, ob sie für sich in dem betreffenden EU-Mitgliedstaat Perspektiven sehen, wobei auch bestehende persönliche Beziehungen eine große Rolle spielen.

Und ein Problem stellten auch die unterschiedlichen Anerkennungsraten dar. Bei Flüchtlingen aus Eritrea etwa kann die Anerkennungsrate in einem EU-Mitgliedstaat hoch, in einem anderen niedrig sein. Das weist auf unterschiedliche Kriterien und auf unterschiedliches Wissen bei der Prüfung von Asylanträgen hin. Die unterschiedlichen Bewertungen führten dazu, dass insbesondere seitens der Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen Prüfungsergebnisse infrage gestellt wurden.iv

Das Scheitern des Dublin-Verfahrens hat zur Erkenntnis geführt, dass das Verfahren bezüglich der Frage, welcher EU-Mitgliedstaat für die Bearbeitung eines Asylantrags zuständig ist, reformiert werden müsse. Weil die Klärung der Zuständigkeit für die Bearbeitung eines Asylantrags ein zentraler Bestandteil des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) ist, erfolgte ihre Neuregelung im Rahmen der GEAS-Reform, die auch noch weitere Punkte umfasste.

Die Neuregelung der Zuständigkeit für die Bearbeitung von Asylanträgen im Rahmen der GEAS-Reform

Die GEAS-Reform bestand aus elf Gesetzgebungsakten des Europäischen Parlaments und des Rates, die am 14. Mai 2024 final beschlossen wurden. Dabei handelte es sich um zehn Verordnungen und eine Richtlinie. Der Unterschied zwischen einer Verordnung und einer Richtlinie besteht darin, dass die Verordnung als verbindlicher Rechtsakt von den EU-Mitgliedstaaten in vollem Umfang umgesetzt werden muss, die Richtlinie dagegen ein zu erreichendes Ziel festlegt. Die Rechtsvorschriften zu erlassen, wie dieses Ziel im Detail erreicht wird, ist Aufgabe der Mitgliedstaaten.

Die Bundesrepublik Deutschland als Zielstaat besonders vieler Flüchtlinge war insbesondere an funktionierenden Verfahren zur Bestimmung des für die Bearbeitung von Asylanträgen zuständigen Mitgliedstaats interessiert. Mit diesem Verfahren befasst sich die Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung, die an die Stelle der bisherigen sogenannten Dublin III-Verordnung tritt. Mit der Frage der Zuständigkeit ist die Verhinderung von Mehrfach-Anträgen eng verbunden. Insofern kam auch der Eurodac-Verordnung mit Regelungen zur Reform der Datenbank Eurodac, die der umfassenden Registrierung der Asylbewerber dient, besondere Bedeutung zu. Eurodac wurde um zusätzliche biometrische Daten (wie Gesichtsbilder) und personenbezogene Daten erweitert. Außerdem wurden in die Datenbank zusätzlich zu den Asylsuchenden auch weitere Gruppen irregulärer Migranten aufgenommen. Und schließlich werden von nun an nicht nur Personen von mindestens 14 Jahren erfasst, sondern auch Personen von mindestens 6 Jahren. Auf die Eurodac-Datenbank können auch Strafverfolgungsbehörden zugreifen, ohne dass zuvor in nationalen Datenbanken und in den automatisierten Fingerabdruck-Identifizierungssystemen aller anderen Mitgliedstaaten eine Prüfung erfolgt.

Die Einführung des Grenzverfahrens stellt eine Neuerung im Vergleich zum bisherigen System dar, die eine besonders schnelle Durchführung von Asylverfahren bei denjenigen Personen ermöglicht, bei denen die Zuerkennung von Schutz unwahrscheinlich ist. Auch wenn die Bundesrepublik Deutschland landseitig nicht über EU-Außengrenzen verfügt, waren die Verfahren für die luft- und seeseitigen EU-Außengrenzen einzuführen. Diese sind in der Asylverfahrens-Verordnung festlegt, die auch das Konzept sogenannter sicherer Herkunftsstaaten beinhaltet.v

Mit der GEAS-Reform wird ein geringerer Schutzstandard in Drittstaaten verlangt, damit sie als sicher gelten. Zuvor war es erforderlich, dass Schutzsuchende im Drittstaat Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) erhalten können. Mit der GEAS-Reform reicht es nun aus, dass der Drittstaat sogenannten wirksamen Schutz gewährt. Außerdem soll es unerheblich für die Einstufung als sicherer Drittstaat sein, wenn bestimmte Regionen nicht sicher sind (regionaler Vorbehalt) oder es für bestimmte Personengruppen nicht sicher ist, sich dort aufzuhalten (personaler Vorbehalt). Zu beachten ist, dass sich die Prüfung, ob ein sicherer Drittstaat vorliegt, nicht auf den Herkunftsstaat des Schutzsuchenden bezieht, sondern auf den Drittstaat, in dem er sich zuletzt aufgehalten hat.vi

Wenn ein Asylbewerber aus einem sicheren Drittstaat kommt, wird angenommen, dass er dort bereits Schutz finden konnte und der Asylantrag folglich unbegründet ist. Der Asylbewerber muss beweisen, dass er entgegen dieser Vermutung im Drittstaat nicht sicher war und ist und folglich schutzbedürftig ist. Gemäß dem Deutschen Caritasverband e. V. könnte das in einem beschleunigten Verfahren an der Grenze eine enorme Herausforderung für den Antragsteller bedeuten. Er müsste hierzu Informationen vorlegen, die häufig nicht in kurzer Zeit beschafft werden können. Gegebenenfalls müsse rechtlicher Rat eingeholt werden, um überzeugend die Umstände darlegen zu können, die seinen Asylantrag trotz der Annahme der Sicherheit als begründet erscheinen lassen.vii Auch die AWO kritisiert, dass mit der Vermutung der Sicherheit eine unvoreingenommene und sorgfältige Einzelfallprüfung nicht mehr gewährleistet sei. Die Folgen einer offensichtlich unbegründeten Ablehnung seien drastisch. Die behördlichen und gerichtlichen Verfahren würden beschleunigt und der Rechtsschutz werde stark eingeschränkt. Betroffene seien verpflichtet, bis zu ihrer Ausreise in einer Gemeinschaftsunterkunft zu verbleiben und ihnen werde verboten zu arbeiten. Diese unterschiedliche Behandlung von Flüchtlingen auf Grund des Herkunftslandes stehe der Vereinbarung der Genfer Flüchtlingskonvention (Artikel 3 GFK) klar entgegen.viii

Das Deutsche Institut für Menschenrechte weist darauf hin, dass keine unionsrechtliche Pflicht bestehe, das Konzept der sicheren Drittstaaten mit Folge der Unzulässigkeit des Asylantrags auch im nationalen Recht anzuwenden. Sofern das Konzept dennoch angewendet werde, müsse Deutschland menschenrechtliche Standards, insbesondere den Zugang zu einem fairen und effektiven Asylverfahren, auch in den Drittstaaten sicherstellen. Die Einhaltung von Menschenrechten in Drittstaaten zu gewährleisten, dürfte jedoch regelmäßig schwerfallen. Betroffenen Schutzsuchenden drohten daher mit hoher Wahrscheinlichkeit Menschenrechtsverletzungen in den Drittstaaten.ix

Zuständigkeitskriterien

Die wichtigsten Vorschriften für die Bestimmung der Zuständigkeit für die Prüfung eines Asylantrags werden beibehalten. Dazu gehört, dass Asylbewerber ihren Antrag im Mitgliedstaat der ersten Einreise oder des legalen Aufenthalts stellen müssen. Dabei gilt weiterhin die Regel, wonach bei Erfüllung bestimmter Kriterien (z. B. Anwesenheit eines Familienangehörigen) ein anderer Mitgliedstaat für die Bearbeitung dieses Asylantrags zuständig sein kann. Die Zusammenführung von Antragstellern mit ihren Familien wird ausgeweitet und umfasst nun auch Personen, die internationalen Schutz genießen, und Personen, die sich auf der Grundlage des langfristigen EU-Aufenthaltstitels in einem Land aufhalten (einschließlich neugeborener Kinder).

Neu ist, dass alle irregulären Migranten, zu denen auch die Flüchtlinge gezählt werden, bei ihrer Ankunft an den Außengrenzen registriert und einer gründlichen Identitäts-, Sicherheits-, Gesundheits- und Schutzbedürftigkeitsüberprüfung („Screening“) unterzogen werden. Die Überprüfung muss innerhalb eines begrenzten Zeitrahmens abgeschlossen werden: sieben Tage für die Überprüfung an den Außengrenzen und drei Tage für die Überprüfung von im Hoheitsgebiet aufgegriffenen Personen.

Auf die Überprüfung folgt unverzüglich das weitere Verfahren. Personen, bei denen keine Schutzbedürftigkeit erkannt wird, werden an das Rückführungsverfahren weitergeleitet. Sie haben in der EU kein Bleiberecht. Personen, bei denen unwahrscheinlich ist, dass sie Schutz benötigen, werden an das Grenzverfahren weitergeleitet. Alle anderen Personen werden an das reguläre Asylverfahren weitergeleitet, das im zuständigen EU-Mitgliedstaat durchgeführt wird.x

Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) weist darauf hin, dass ein ausdrücklicher Zweck des Überprüfungsverfahrens sei, besondere Bedürfnisse bei vulnerablen Personen festzustellen und die dann folgenden Verfahren an diese Bedürfnisse anzupassen. Nur mit einer solchen Feststellung könnten bei der Verteilung der Asylsuchenden auf die Aufnahmeeinrichtungen die Bedürfnisse einzelner Personen mitgeteilt und berücksichtigt werden.xi Die Bandbreite der möglichen Vulnerabilitäten (Verwundbarkeiten / Verletzbarkeiten) ist sehr groß und reicht von offensichtlichen Beeinträchtigungen wie Blindheit über LSBTIQ+-Personen bis hin zu Opfern von Menschenhandel und weiblicher Genitalverstümmelung.xii

Grenzverfahren

Mit der GEAS-Reform werden verpflichtende Grenzverfahren für folgende Personengruppen eingeführt:

– Personen, die Behörden getäuscht haben, insbesondere über ihre Identität

– Personen, die eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung darstellen

– Personen aus Herkunftsstaaten, bei denen in Bezug auf deren Asylantrag eine durchschnittliche EU-weite Schutzquote von 20 % oder weniger vorliegt

Ausdrücklich vom Grenzverfahren ausgenommen sind unbegleitete Minderjährige, sofern sie keine Sicherheitsgefahr darstellen. Außerdem werden bestimmte Bedürfnisse bezüglich Aufnahme und Unterbringung berücksichtigt, beispielsweise bei Schwangeren, Minderjährigen und Menschen mit Behinderungen. Wenn diese Bedürfnisse im Grenzverfahren nicht berücksichtigt werden können, wird es nicht durchgeführt oder beendet. Auch zwingende medizinische Gründe können zur Nichtanwendung des Grenzverfahrens führen. Minderjährige und ihre Familienangehörige sollen nicht vorrangig vom Grenzverfahren umfasst werden. Wenn sie dennoch dem Grenzverfahren unterfallen, sollen ihre Verfahren schnellstmöglich bearbeitet werden.

Die GEAS-Reform sieht vor, dass auch im Grenzverfahren menschen- und rechtstaatliche Grundsätze eingehalten werden. Alle Schutzsuchenden können bei Ablehnung ihres Antrags Klage erheben. Zudem kann im Außengrenzverfahren ein Antrag auf aufschiebende Wirkung der Klage gestellt werden. Bis zum Abschluss der gerichtlichen Prüfung dieses Antrags werden Schutzsuchende nicht zurückgeführt.xiii

Hinsichtlich der menschen- und rechtsstaatlichen Grundsätze werden jedoch Zweifel geäußert: Die bisherigen Erfahrungen mit Asylverfahren an EU-Außengrenzen – nämlich auf den griechischen Inseln im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens – zeigten bislang das Gegenteil: Die extrem prekäre Unterbringung in überfüllten Camps, die menschenrechtswidrigen Lebensstandards innerhalb der Camps, die geringe Anzahl und

begrenzte Ausstattung von Rechtsanwälten vor Ort, fehlende Erkennung und Einstufung von vulnerablen Gruppen, schlechte Übersetzungsleistungen in Behörden- und Gerichtsverfahren, willkürliche Festnahmen durch lokale Polizeibehörden und zu wenig

Kenntnisse über Rechtsschutzmöglichkeiten seitens der Betroffenen verhinderten die tatsächliche Inanspruchnahme der rechtlichen Garantien. Gegen die Entscheidung, in ein Grenzverfahren eingeteilt worden zu sein, stehe kein Rechtsmittel zur Verfügung.xiv

Die Grenzverfahren sollen ausschließlich von EU-Mitgliedsstaaten auf ihrem Hoheitsgebiet durchgeführt werden. Es besteht aber die Möglichkeit der Auslagerung der Grenzverfahren in Drittstaaten. In Deutschland werden Grenzverfahren insbesondere in den Transitbereichen an den Flughäfen durchgeführt.

Die GEAS-Reform sieht grundsätzlich menschenwürdige Unterbringung vor. Kritiker halten das jedoch für reine Theorie. In der Praxis werde es Masseninternierungen geben und die Grenzverfahren würden daher im Rahmen einer De-facto-Haft stattfinden – ohne dass diese gesetzlich als Haft eingestuft werde. Eine Einstufung als Haft erfolge seitens des Gesetzgebers deswegen nicht, weil Haft Freiheitsentziehung bedeute. Bei Durchführung von Grenzverfahren werde dagegen für einen befristeten Zeitraum eine Freiheitsbeschränkung vorgenommen, d.h. die betreffenden Personen dürften (noch) nicht in die EU einreisen, aber die Ausreise in Drittstaaten bleibe möglich.xv

EU-Recht sieht vor, dass die Einhaltung der Grundrechte beim Grenzverfahren unabhängig überwacht wird. Dafür ist ein umfassendes Monitoring vorgesehen. Dessen Durchführung bedarf der nötigen Kompetenzen, beruflichen Qualifikationen und Finanzierung. In Deutschland kommen das Deutsche Institut für Menschenrechte sowie die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter für diese Aufgabe infrage. Von verschiedenen Verbänden wird darauf hingewiesen, dass Erlasse, Dienstanweisungen und Vereinbarungen des Bundes und der Länder keine ausreichende Grundlage für ein unabhängiges Monitoring darstellten, sondern es einer gesetzlichen Grundlage bedürfe.xvi

Solidaritäts- und Unterstützungsmaßnahmen

Mitgliedstaaten an den Außengrenzen der EU-Außengrenze sind sehr viel häufiger für die Bearbeitung von Asylanträgen verantwortlich als Mitgliedstaaten im Inneren der EU. Dementsprechend haben sie besonders große Lasten zu tragen. Da liegt es nahe, dass die Mitgliedstaaten mit geringeren Belastungen in andere weise Beiträge zu einem funktionierenden Asylwesen beitragen. Sie haben folglich sogenannte Solidaritäts- und Unterstützungsmaßnahmen zu tragen.

Dazu gehören folgende Maßnahmen, die miteinander verrechnet werden können:

– Übernahmen von Asylsuchenden und Personen, die internationalen Schutz genießen

– Finanzbeiträge wie beispielsweise Unterstützung von Projekten in Drittländern

– alternative Solidaritätsmaßnahmen wie Kapazitätsaufbau oder die Entsendung von Personal

Eine Aufnahme von Geflüchteten ist also nicht erforderlich, sondern es reichen auch finanzielle Beiträge aus. Diese Beiträge dienen aber nicht unbedingt der Solidarität und Unterstützung bei der Aufnahme von Flüchtlingen, sondern können direkt in die Finanzierung von Abschottungsmaßnahmen, etwa in das Border Management and Visa Instrument fließen. Hierbei handelt es sich um ein Finanzierungsinstrument, das darauf abzielt, die EU-Mitgliedstaaten bei der Verwaltung ihrer Außengrenzen und Visapolitik zu unterstützen.xvii

Kirchenasyl

Wenn ein Asylantrag abgelehnt wird, wird dem Flüchtling kein Aufenthaltsrecht gewährt. An der Berechtigung der Ablehnung können aber Zweifel bestehen. In einem solchen Fall kann ein Orden oder eine Gemeinde dem Flüchtling beistehen, indem er bzw. sie Kirchenasyl gewährt. Das Kirchenasyl ist zeitlich befristet und dient dazu, auf eine erneute, sorgfältige Überprüfung der aufenthaltsrechtlichen Situation hinzuwirken. In allen Fällen werden die zuständigen Behörden über den Aufenthalt im Kirchenasyl unterrichtet. Der Eintritt in das Kirchenasyl stellt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschluss vom 08.06.2020, 1 B 19.20) kein Untertauchen dar.

Der Staat kann von seinem Zugriffsrecht Gebrauch machen, um die Abschiebung zu vollziehen. Es gibt aber eine grundsätzliche staatliche Toleranz des Kirchenasyls, die zuletzt 2015 angesichts der Flüchtlingskrise deutlich bekräftigt wurde. Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen, sinkender Akzeptanz der bisherigen, zunehmend als zu human empfundenen Flüchtlingspolitik und des daraus resultierenden staatlichen Handlungsdrucks, ist jedoch die Toleranz des Kirchenasyls gesunken. Daher sehen sich die Orden und Gemeinden mit restriktiverem Vorgehen der Behörden konfrontiert. Die Bestimmungen der GEAS-Reform im Hinblick auf die Frage, wann eine Person in der EU als flüchtig gilt, können die Umsetzung des Kirchenasyls erheblich beeinträchtigen.xviii

i Vgl. https://www.dw.com/de/schengen-eine-erfolgsgeschichte/a-44440847 ; https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/visa-und-aufenthalt/schengen/207786 (jeweils aufgerufen am 15.06.2024).

ii Vgl. Förderverein PRO ASYL e. V. [Hrsg.], Flüchtlinge im Verschiebebahnhof EU. Die EU-Zuständigkeitsverordnung „Dublin II“, Frankfurt a. M. 2008, 22.

iii Vgl. Stefan Luft, Die Flüchtlingskrise: Ursachen, Konflikte, Folgen, Chancen, München 2016, 69-72.

iv Vgl. Stefan Luft, Die Flüchtlingskrise: Ursachen, Konflikte, Folgen, Chancen, München 2016, 73-78; Clara von Spee, Dennis Khazad, Julia Idler, Neustart bei der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems: Defizite des aktuellen Systems, Lösungsvorschlag und Chance für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 53/10 (2020), 353-354. Zahlreiche Kritikpunkte führt Förderverein PRO ASYL e. V. [Hrsg.], Flüchtlinge im Verschiebebahnhof EU. Die EU-Zuständigkeitsverordnung „Dublin II“, Frankfurt a. M. 2008, 9-19 an. Die Kritikpunkte betreffen die Dublin-II-Verordnung, womit sich die Änderungen der Dublin-III-Verordnung nachvollziehen lassen.

v Vgl. Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung: Verordnung (EU) Nr. 2024/1351; Eurodas-Verordnung: Verordnung (EU) Nr. 2024/1358; Asylverfahrens-Verordnung: Verordnung (EU) Nr. 2024/1348. Sämtliche Rechtsakte sind im Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimat – Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Rechts an die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS-Anpassungsgesetz) aufgeführt, ebenfalls im darauf gründenden Gesetzentwurf der Bundesregierung. Beiden Entwürfen ist die Gewichtung entnommen. Einzelheiten zur Erweiterung von Eurodac siehe https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2023/12/20/the-council-and-the-european-parliament-reach-breakthrough-in-reform-of-eu-asylum-and-migration-system/ (aufgerufen am 06.01.2025).

vi Vgl. medico international e. V., kritnet – Netzwerk für kritische Migrations- und Grenzregimeforschung, Faktencheck zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), Frankfurt a. M., Oktober 2024.

vii Vgl. Deutscher Caritasverband e.V., Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Rechts an die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und (GEAS-Anpassungsgesetz) und zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des AZRG und weiterer Gesetze in Folge der Anpassung des nationalen Rechts an das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS-Anpassungsfolgegesetz), 21.10.2024.

viii Vgl. Stellungnahme des AWO Bundesverbandes zum Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimat. Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Rechts an die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems vom 11.10.2024 (Bearbeitungsstand 16:54 Uhr), GEAS-Anpassungsgesetz, Stand 21.10.2024.

ix Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Rechts an die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS-Anpassungsgesetz), Oktober 2024.

x Vgl. https://www.consilium.europa.eu/de/policies/eu-migration-policy/eu-migration-asylum-reform-pact/asylum-migration-management/#strategy ; https://home-affairs.ec.europa.eu/policies/migration-and-asylum/pact-migration-and-asylum/questions-and-answers-pact-migration-and-asylum_de (jeweils aufgerufen am 07.12.2024).

xi Vgl. Stellungnahme des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes (JRS) zu Referentenentwürfen eines GEAS-Anpassungsgesetzes und eines GEAS-Anpassungsfolgegesetzes, Berlin, den 21. Oktober 2024.

xii Vgl. Gemeinsame Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin –und der Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Rechts an die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, Berlin, den 21. Oktober 2024.

xiii Vgl. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/faqs/DE/themen/migration/geas/FAQ-GEAS.html (aufgerufen am 06.01.2025).

xiv Vgl. medico international e. V., kritnet – Netzwerk für kritische Migrations- und Grenzregimeforschung, Faktencheck zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), Frankfurt a. M., Oktober 2024.

xv Vgl. medico international e. V., kritnet – Netzwerk für kritische Migrations- und Grenzregimeforschung, Faktencheck zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), Frankfurt a. M., Oktober 2024.

xvi Vgl. Deutscher Juristinnenbund e. V., Stellungnahme zum Referentenentwurf „Gesetz zur Anpassung des nationalen Rechts an die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS-Anpassungsgesetz)“, Berlin, 21. Oktober 2024; Deutsches Institut für Menschenrechte, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Rechts an die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS-Anpassungsgesetz), Oktober 2024.

xvii Vgl. https://www.consilium.europa.eu/de/policies/eu-migration-policy/eu-migration-asylum-reform-pact/asylum-migration-management/#solidarity (aufgerufen am 06.01.2025); medico international e. V., kritnet – Netzwerk für kritische Migrations- und Grenzregimeforschung, Faktencheck zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), Frankfurt a. M., Oktober 2024.

xviii Vgl. https://www.erzbistum-muenchen.de/cms-media/media-67306820.pdf ; https://www.asyl.net/view/weitere-verschaerfungen-beim-kirchenasyl-und-neue-obergerichtliche-entscheidungen/ (jeweils aufgerufen am 06.01.2025); medico international e. V., kritnet – Netzwerk für kritische Migrations- und Grenzregimeforschung, Faktencheck zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), Frankfurt a. M., Oktober 2024.