Die Unterbringung von Menschen, die Schutz suchen („Flüchtlingen“), ist im Hinblick auf die Frage „Obergrenze für Flüchtlinge?“ insofern von Belang, als für die Aufnahme die nötigen Kapazitäten vorhanden sein müssen. Dabei sind verschiedene Aspekte zu beachten: Es bedarf der nötigen Unterkünfte, und zwar unter Beachtung der Menschenrechte und besonderer Bedürfnisse bei der Unterbringung. Außerdem sind Sicherheitsaspekte, das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung und Aspekte der Integration zu beachten.
Wenn die Sicherheit tatsächlich oder gefühlt gefährdet ist, die Schutzsuchenden seitens der ansässigen Bevölkerung als Fremdkörper empfunden werden und der Wohnungsmarkt zusätzlich belastet wird, dann schwindet die Akzeptanz der Aufnahme von Schutzsuchenden. Es heißt dann, es seien zu viele, und es wird der Ruf nach einer stärkeren Begrenzung der Zahl laut.
Rechtliche Grundlagen der Aufnahme, Unterbringung und Verteilung
Die Aufnahme, Unterbringung und Verteilung von Menschen, die in Deutschland um Asyl nachsuchen, wird durch das Asylgesetz (AsylG) und das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) geregelt. Darüber hinaus gibt es landesrechtliche Regelungen, in Baden-Württemberg beispielsweise das Flüchtlingsaufnahmegesetz (FlüAG).i
Die Erstaufnahme der Asylbewerber
Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, können sich nicht einfach auf dem freien Wohnungsmarkt eine Unterkunft suchen. Sie gelten als irreguläre Migranten und müssen sich melden, sich registrieren und ihre Identität feststellen lassen, sich einer Gesundheitsuntersuchung unterziehen und einen Asylantrag stellen. Nur auf diese Weise können sie einen Aufenthaltstitel erlangen, der ihnen einen legalen Aufenthalt in Deutschland ermöglicht. Asylbewerber werden zunächst einer Erstaufnahmeeinrichtung zugewiesen.
Die Zuweisung der Asylbewerber erfolgt nach bestimmten Regeln. Die wichtigste Regel ist, dass sie möglichst angemessen und gerecht auf die Bundesländer verteilt werden. Die Verteilung ist notwendig, damit nicht ein bestimmtes Bundesland bei der Aufnahme von Asylbewerbern überfordert wird. Eine solche Überforderung drohte auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015, als viele Flüchtlinge -insbesondere aus Syrien – die Balkanroute benutzten und in Bayern deutschen Boden betraten. Bayern hätte die Aufnahme der Asylbewerber nicht alleine schultern können.
Die Erstverteilung der Asylbewerber vor der Antragstellung beim Bundesamt erfolgt seit dem 1. April 1993 durch ein computergestütztes System – EASY (Erstverteilung Asylbegehrende) – nach einer festgelegten Aufnahmequote auf die Bundesländer. So soll eine angemessene und gerechte Verteilung auf die Bundesländer sichergestellt werden. Die Aufnahmequote richtet sich nach dem sogenannten „Königsteiner Schlüssel“. Dieser setzt sich zu zwei Dritteln aus dem Steueraufkommen und zu einem Drittel aus der Bevölkerungszahl der Länder zusammen.ii
Mit der Ankunft des Asylbewerbers in der Erstaufnahmeeinrichtung geht die Zuständigkeit an die Stadt- und Landkreise über. In den Stadt- und Landkreisen ist der Asylbewerber bis zum Abschluss seines Asylverfahrens, maximal jedoch für zwei Jahre, untergebracht. Während der Dauer des Aufenthaltes in der Erstaufnahmeeinrichtung muss sich der Asylbewerber in dem jeweiligen Stadt- oder Landkreis seiner Erstaufnahmeeinrichtung aufhalten.iii
Dies wird als „Residenzpflicht“ bezeichnet. Eine Residenzpflicht gilt grundsätzlich Asylbewerber während des (noch nicht abgeschlossenen) Asylverfahrens und für solche Personen, die über eine Duldung verfügen.iv
Erstaufnahmeeinrichtungen als zentraler Zugangspunkt zu den Asylverfahren
Die Länder müssen die nötigen Kapazitäten für die Erstaufnahme bereitstellen. Die Ausformungen und Bezeichnungen (Erstaufnahmeeinrichtung, Ankunftszentrum, Gemeinschaftsunterkunft, AnkER-Zentrum) unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland.
Manche Erstaufnahmeeinrichtungen dienen ausschließlich der Aufnahme von Asylbewerbern, andere darüber hinaus auch der Bearbeitung des Aufnahme- und Asylverfahrens. Die Unterscheidung kann sich in den verwendeten Bezeichnungen niederschlagen. In Baden-Württemberg beispielsweise werden erstere als „Erstaufnahmeeinrichtungen“ bezeichnet, letztere als „Landeserstaufnahmeeinrichtungen“ (LEA) oder „Ankunftszentren“.
Die Erstaufnahmeeinrichtungen, die nicht nur der Unterkunft dienen, sind der zentrale Zugangspunkt zum Asylverfahren. In den Ankunftszentren werden alle für das Asylverfahren erforderlichen Schritte durchgeführt. Dies beinhaltet die ärztliche Untersuchung durch die Länder, die Erfassung der persönlichen Daten und die Identitätsprüfung, die Antragstellung, Anhörung und Entscheidung über den Asylantrag sowie erste Integrationsmaßnahmen, wie etwa die sogenannten Erstorientierungskurse durch das Bundesamt. Darüber hinaus findet eine Erstberatung zum Arbeitsmarktzugang durch die örtliche Arbeitsagentur statt.v
An den Erstaufnahmeeinrichtungen (und auch Gemeinschaftsunterkünften der Anschlussunterbringung) wird grundsätzliche Kritik geäußert, beispielsweise als Ergebnis des VULNER-Forschungsprojektes. Zwar sei die vorübergehende Unterbringung von Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen bis zu ihrer Asylanhörung in gewisser Weise gerechtfertigt, da dies die Registrierung und medizinische Erstuntersuchung erleichtern könne und Antragsteller besser mit Informationen versorgt werden und besondere Schutzbedarfe identifiziert werden könnten, darüber hinaus gebe es jedoch keinen praktischen Grund für die Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften. Die Entscheidung, Geflüchtete in großen Unterkünften unterzubringen, lasse sich nur mit dem Wunsch erklären, Kontrolle über sie auszuüben. Für Gemeinschaftsunterkünfte gebe es keine flächendeckenden Mindeststandards. Die Verträge mit den Betreibern dieser Einrichtungen enthielten zwar in Einzelfällen Mindestanforderungen, diese würden jedoch oft nicht eingehalten, da es an einer effektiven Kontrolle fehle. Gemeinschaftsunterkünfte lägen oft an Rande der Städte, wo die öffentlichen Verkehrsverbindungen unzureichend seien. So sei es für die Bewohner schwierig, die zuständigen Behörden zu erreichen und Zugang zu Unterstützungsstrukturen zu erhalten. Sofern ein Bewohner überhaupt Kontakt zu Anwälten hat, erschwere dies zudem erheblich den Kontakt und damit die tatsächliche Durchsetzung der eigenen Rechte. Häufig seien Gemeinschaftsunterkünfte zudem überfüllt oder beherbergten eine dermaßen hohe Anzahl von Menschen, dass sich die Bewohner unwohl und unsicher fühlten. Ihnen sei oft unklar, wie der Wohnraum zugewiesen und wie über die Belegung der Zimmer entschieden wird. Dieser Mangel an Transparenz führe zu Misstrauen untereinander sowie gegenüber staatlichen Strukturen und der Heimleitung. Erschwerend komme hinzu, dass Bewohner, sofern sie keine Sozialleistungen beziehen, verpflichtet seien, die Miete selbst zu zahlen, die oft weit über dem Mietspiegel liege. Und schließlich seien die unflexiblen Hausordnungen häufig ein großes Hindernis für eine Integration in den Arbeitsmarkt. Beispielsweise habe ein Bewohner keine Möglichkeiten sich ein Abendessen oder Frühstück vorzubereiten, wenn die Öffnungszeiten der Gemeinschaftsküche mit den Arbeitszeiten der Bewohner kollidieren.vi
Mit den AnkER- und funktionsgleichen Einrichtungen wurde die Grundidee der Ankunftszentren weiterentwickelt. Das zentrale Element des AnkER-Konzepts ist die Bündelung aller Funktionen und Zuständigkeiten: von Ankunft über Asylantragstellung und Entscheidung bis zur kommunalen Verteilung, ersten integrationsvorbereitenden Maßnahmen bzw. der Rückkehr von Asylbewerbern. Das Kürzel „AnkER“, das für Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung beziehungsweise Rückführung steht, weist auf die vielfältigen Funktionen und Zuständigkeiten hin. Alle direkt am Asylprozess beteiligten Akteure sind vor Ort in den AnkER-Einrichtungen vertreten. Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) unterhält in den AnkER- und funktionsgleichen Einrichtungen Außenstellen.vii
Als Vorteile der AnkER- und funktionsgleichen Einrichtungen werden die Bündelung aller zuständigen Behörden vor Ort, die schnelle und effektive Asylverfahren ermögliche, und die Sicherheit in und um den Einrichtungen durch Aufstockung des Sicherheitsdienstes genannt. Für Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive würden die Weichen in Richtung Integration bereits in den ANKER-Einrichtungen gestellt und dazu auch die Bundesagentur für Arbeit mit eingebunden. Eine Verteilung der Asylbewerber auf die Städte und Gemeinden erfolge erst, wenn ihr Schutzstatus positiv festgestellt istviii
Als Kritik wird geäußert, dass die extreme Beschleunigung der Verfahren oft dazu führe, dass Asylbewerber das Verfahren nicht ausreichend verstehen und keine Vorbereitung auf die wichtige Anhörung in Anspruch nehmen können, weil sie beispielsweise keine Beratungsstelle der Wohlfahrtsverbände aufsuchen können. Wenn aber Personen daraufhin ihre Verfolgungsgeschichte unzureichend wiedergeben, folgten häufig die Ablehnung und ein gerichtliches Verfahren. Nehme man das gesamte Verfahren bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens und der rechtskräftigen Entscheidung in den Blick, führten AnkER- und funktionsgleiche Einrichtungen nicht unbedingt zu kürzeren Verfahren, sondern zu einer Verlagerung auf die Verwaltungsgerichte. Längere Zeitfenster für eine unabhängige Verfahrensberatung würden hingegen zu einer effektiven Beschleunigung führen. Problematisch sei auch, dass in manchen AnkER- und funktionsgleichen Einrichtungen, bei denen es sich um Großunterkünfte handele, die Wohn- und Lebensbedingungen problematisch seien und auf Bedürfnisse besonders vulnerabler Gruppen (z. B. Kinder, Schwangere, Kranke) zu wenig Rücksicht genommen werde. Die Aufenthaltsdauer (bis zu 18 Monate statt bis zu 6 Monate) sei zu lang und es mangele in manchen Einrichtungen an Kinderbetreuung und am Zugang zu Schulen und Ausbildung. Durch die Beschneidung des Zugangs zu Schule und Ausbildung verlören die betroffenen Kinder Zeit, die später kaum aufzuholen sein werde. Wenn Erwachsene nicht arbeiten können, die Teilnahme an Integrationskursen erst nach einer Verteilung auf die Kommunen möglich ist und wenn noch dazu die Unterstützung durch Ehrenamtliche beschränkt ist, fehle Kindern wie Erwachsenen Zugang zur Sprache, zu Beschäftigung und einer Vorbereitung auf das Leben in Deutschland. Was die Kosten betreffe, so würden die Kommunen entlastet, die Länder dagegen belastet.ix
Die Berücksichtigung der Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen
Handicap International e. V. weist darauf hin, dass viele Aufnahmeeinrichtungen nicht barrierefrei seien. Meist fehlten u. a. Blindenleitsysteme und Lichtklingeln, Beschilderung mit Piktogrammen, Türöffner an Brandschutztüren und Fahrstühle, wenn Menschen mit
Mobilitätseinschränkungen nicht ebenerdig untergebracht sind. Gleichzeitig fehle oft das Verständnis, dass auch Barrierefreiheit die mangelnde Bedarfsgerechtigkeit nicht beheben kann. Bei manchen Formen von Behinderung, beispielsweise bei Autisten, könne eine Unterbringung in lauten Einrichtungen mit fremden Menschen niemals bedarfsgerecht sein. Eine Unterbringung in großen Aufnahmestrukturen könne aufgrund der mangelnden Privatsphäre, des unangemessenen Lebensstandards sowie fehlender Autonomie und Teilhabe ohnehin niemals eine bedarfsgerechte Wohnform im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention sein.x
Der Betrieb der Erstaufnahmeeinrichtungen
Erstaufnahmeeinrichtungen können nicht sich selbst überlassen werden, sondern müssen betreut und gesichert werden. Der Betrieb und die Sicherung sind von Bundesland zu Bundesland und von Einrichtung zu Einrichtung unterschiedlich. Im Optimalfall kümmert sich ein Sozialdienst um die soziale Betreuung der Bewohner. Für die Versorgung der Kranken ist eine Krankenstationen mit medizinischem Fachpersonal und regelmäßigen ärztlichen Sprechstunden vorhanden. Darüber hinaus bieten freie Träger eine unabhängige Sozial- und Verfahrensberatung an. Sprachmittler sind bei der Verständigung behilflich. Zur Gewährleistung der Sicherheit werden rund um die Uhr private Sicherheitsunternehmen vor Ort eingesetzt, wobei sowohl männliches als auch weibliches Sicherheitspersonal vorhanden ist. Für Kinder stehen Spielstuben zur Verfügung. Hauptamtliche Lehrkräfte machen für Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter ein Schulangebot. Zudem werden Sprachkurse für Erwachsene angeboten. Bei den Beschäftigungs- und Betreuungsangeboten werden die Aufnahmeeinrichtungen auch von vielfältigen ehrenamtlichen Initiativen vor Ort unterstützt. Für die Bewohner gibt es nach §5 AsylbLG (= Asylbewerberleistungsgesetz) die Möglichkeit, geringfügig vergütete Arbeitsgelegenheiten wahrzunehmen. So übernehmen sie beispielsweise Reinigungsarbeiten, Dolmetschertätigkeiten, die Pflege der Außenanlagen, die Essensausgabe oder andere Tätigkeiten innerhalb der Erstaufnahmeeinrichtung. Die Verpflegung erfolgt durch einen Caterer, der ein ansprechendes Angebot an abwechslungsreichen Speisen gewährleisten kann. Bei der Zubereitung der Speisen wird die religiöse und ethnische Vielfalt der Schutzsuchenden berücksichtigt.xi
Der Betrieb ist aber nicht überall ohne Mängel, so dass auch Kritikpunkte vorgebracht werden. So wird beispielsweise kritisiert, dass die gesetzlichen Voraussetzungen an Sicherheitsunternehmen und ihr Personal in Deutschland im internationalen Vergleich niedrig seien. Für den Einsatz im hochsensiblen und konfliktträchtigen Bereich der Flüchtlingsaufnahme mit vielen traumatisierten Menschen sei eine hohe interkulturelle Kompetenz und Erfahrung nötig, für die die Mitarbeiter meist nicht ausgebildet seien. Zudem würden die Länder, Kommunen und Betreiber der Flüchtlingsunterkünfte ihre Aufträge bezüglich der Sicherheitsdienstleistungen oftmals an die preisgünstigsten Anbieter vergeben, ohne auf Qualität zu setzen. Diskriminierung, Gewalt und Machtmissbrauch durch Sicherheitspersonal seien in den Flüchtlingsunterkünften keine Seltenheit. Zudem komme es immer wieder zu einer problematischen Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen Sicherheitsfirmen und Sozialarbeit. Vielerorts seien Sicherheitsfirmen sogar selbst mit dem Heimbetrieb beauftragt. Bei Zwischenfällen würden Polizisten mangels Dolmetschern zunächst nur die Wachleute vor Ort befragen und so deren Version des Konflikts übernehmen und an die Presse weitergeben.xii
Kommunale Anschlussunterbringung
Die Erstaufnahmeeinrichtungen dienen nur der vorläufigen Unterbringung der Asylbewerber. Nach – je nach Bundesland – spätestens 6, 18 oder 24 Monaten werden die Bewohner auf die Kommunen verteilt. Während des Aufenthalts in Erstaufnahmeeinrichtungen ist das Land Kostenträger, ab Verteilung in die Kommunen sind es diese. Das Land erstattet jedoch den Kommunen die Kosten für Aufnahme, Unterbringung und Versorgung der aufgenommenen Asylbewerber im Rahmen einer pauschalierten Kostenbeteiligung. Zusätzlich unterstützt die Landesregierung die Integration der Asylbewerber in den Kommunen, indem sie Sprach- und Orientierungskurse sowie weitere Integrationsmaßnahmen fördert.xiii
In eine Gemeinschaftsunterkunft kommen zunächst einmal Asylbewerber und Flüchtlinge, die bereits zwei Jahre in einer Erstaufnahmeeinrichtung verbracht haben, ohne dass über ihren Asylantrag entschieden wurde. Ebenfalls in eine Gemeinschaftsunterkunft kommen Ausländer, die den Flüchtlingsstatus erhalten haben bzw. als Asylberechtigte anerkannt wurden, aber noch keine Wohnung gefunden haben. Sofern sie nicht der Wohnsitzauflage unterliegen, haben sie zwar Anspruch auf eine eigene Wohnung und dürfen ihren Wohnsitz in Deutschland frei wählen, sind bei der Wohnungssuche aber nicht unbedingt erfolgreich. Es herrscht allgemeine Wohnungsnot und billige Wohnungen bzw. Sozialwohnungen sind knapp. Häufig haben anerkannte Asylbewerber bzw. Flüchtlinge noch Sprachschwierigkeiten, was die Wohnungssuche erschwert. Sie stehen vor bürokratischen Hürden und sind auf Hilfe angewiesen. Zudem haben Menschen mit ausländisch klingenden Namen schlechtere Karten bei der Wohnungssuche. Wer als anerkannter Asylbewerber oder Flüchtling bereits einer Arbeit nachgeht und keine Sozialleistungen erhält, muss die Miete selbst zahlen. Wenn jemand allerdings noch keine Arbeit und damit kein eigenes Einkommen hat und damit Sozialleistungen bezieht, wird die Miete vom Staat, also vom Jobcenter bzw. vom Sozialamt übernommen, je nachdem in welchem Bundesland und welcher Gemeinde er lebt. Mit der Übernahme der Mietkosten erhält der Vermieter garantiert die Miete, was für ihn attraktiv ist. Allerdings muss er auf verschiedene Voraussetzungen achten, damit sichergestellt ist, dass die Vermietung rechtlich einwandfrei ist.xiv
Gewalt in Gemeinschaftsunterkünften und im öffentlichen Raum
Den Erstaufnahmeeinrichtungen und unter Umständen auch Gemeinschaftsunterkünften der Anschlussunterbringung ist ein hohes Gewaltpotenzial eigen. Das lässt nicht auf eine besondere Neigung der Bewohner zur Gewalt schließen, sondern hat vielfältige Ursachen: In Gemeinschaftsunterkünften wohnen viele Bewohner auf engem Raum zusammen und sind in ihrem Bewegungsradius eingeschränkt. Wo viele Menschen auf engem Raum zusammen wohnen, kommt es zwangsläufig schnell zu Konflikten. Das gilt insbesondere dann, wenn die Menschen so verschieden sind wie die Bewohner, die aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Wertesystemen stammen und verschiedene Sprachen sprechen. Die Bewohner geben einen Teil der selbstbestimmten Lebensführung auf und müssen sich mit ihren so verschiedenen Mitbewohnern arrangieren. Das erfordert ein hohes Maß an Toleranz und Bereitschaft, eigene Überzeugungen kritisch zu hinterfragen. Ist erst mal ein Streit entstanden, lässt er sich wegen der unterschiedlichen Wertevorstellungen und Mentalitäten und wegen der Verständigungsschwierigkeiten nur schwer schlichten. Da besteht die Gefahr, dass er mit Gewalt ausgetragen wird. Insbesondere Frauen, Kinder und Jugendliche, traumatisierte Menschen, Menschen mit Behinderungen sowie Menschen mit besonderer geschlechtlicher Identität oder besonderer sexueller Orientierung sind Anfeindungen, Bedrohungen oder Gewalt ausgesetzt.xv
Stets müssen wir uns bewusst machen, dass in Flüchtlingsheimen nicht nur sehr verschiedene Menschen zusammen wohnen, sondern diese Menschen oftmals Gewalterfahrungen gemacht haben. Diese Gewalterfahrungen können psychische Störungen verursachen, die sich in Verhaltensauffälligkeiten niederschlagen.
Die Gewalt in Gemeinschaftsunterkünften ist vielgestaltig:
– physische Gewalt (insbesondere in Paarbeziehungen oder gegen Kinder),
– emotionale und sexualisierte Gewalt
– religiös motivierte Gewalt
– Gewalt gegen Kinder: körperliche und seelische Misshandlung, sexueller Missbrauch,
physische und psychische Vernachlässigung
– geschlechtsspezifische Gewalt wie: häusliche Gewalt, Gewalt im Namen der Ehre,
Zwangsverheiratung, Menschenhandel und Genitalverstümmelung.xvi
Die Aufnahmerichtlinie und die Istanbul-Konvention verpflichten die EU-Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu ergreifen, die so weit wie möglich sicherstellen, dass Übergriffe und Gewalt in Unterbringungszentren verhindert werden. Der Deutsche Juristinnenbund e. V. weist darauf hin, dass es dafür einrichtungsspezifischer Gewaltschutzkonzepte und einer bundesweit einheitlichen Feststellung eines besonderen Schutzbedarfs für Asylbewerber bedürfe. Die besonderen Bedürfnisse von u. a. Minderjährigen, Personen mit Behinderungen, Personen, die sich nicht in das binäre Schema Mann-Frau einordnen lassen (TIN-Personen), Betroffenen von Folter und geschlechtsspezifischer Gewalt seien bei der Aufnahme zu berücksichtigen. Geschehe dies nicht, stellten die Unterkünfte für alle diese Personen keinen sicheren Ort dar, sondern setzten sie weiterer Gewalt oder Traumatisierung aus. Die Regelungen zur Residenzpflicht und Wohnsitzverpflichtung stünden zudem oftmals der Gewährleistung von Schutz (etwa durch Unterbringung im Frauenhaus oder Umverteilung) in akuten Gewaltfällen im Wege, da zunächst eine Aufhebung bei der Behörde beantragt werden müsse und diese Verfahren oftmals mehrere Wochen dauerten und überhöhte Anforderungen an die Darlegung der Gewalt gestellt würden.xvii
Auch aufgrund der als belastend empfundenen Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften verbringen Flüchtlinge ihre Freizeit oft im öffentlichen Raum. Die zusätzlich fehlende Tagesstruktur führt oft zu Langeweile, Frustration und Aggression. Auch aufgrund dieser Voraussetzungen können Flüchtlinge in Alkohol- und Drogenprobleme geraten, was wiederum das Risiko für Gewalttaten erhöhen kann. Es mangelt zugleich an ausreichend Therapieangeboten, so dass Traumata aufgrund von Kriegserfahrungen, die auch Gewalt auslösen können, nicht ausreichend behandelt werden. Wenn Sprachförderung, Schulausbildung und berufliche Fortbildung nicht ausreichend um- und durchgesetzt werden, fehlen die Grundlagen für gelingende Integration. Auch können Diskriminationserfahrungen bei Begegnungen mit Bürgern und bei Kontakten mit Behörden zu angestauter Wut führen, die in Gewalt umschlagen kann. Und schließlich kann ein häufiger Wechsel von amtlichen Betreuern den Aufbau von Vertrauen und Kooperationsbereitschaft verhindern. Darüber hinaus gibt es noch Gewaltprobleme, die nur ganz bestimmte Flüchtlingsgruppen betreffen: So haben männliche Flüchtlinge aus Staaten, die von männlicher Dominanz geprägt sind (insbesondere die Türkei und arabische bzw. nordafrikanische Staaten), häufig eine patriarchalische und autoritäre Erziehung erlebt und Männlichkeitsnormen verinnerlicht, die Gewalt rechtfertigen. Und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge brauchen angesichts des Verlusts ihrer Familie besonders verlässliche soziale Kontakte, wofür nicht immer ausreichend Bezugspersonen zur Verfügung stehen, was kriminelle Verhaltensweisen begünstigt.xviii
i Vgl. https://rp.baden-wuerttemberg.de/themen/international/fluechtlinge/seiten/aufnahme-und-verteilung (aufgerufen am 05.02.2025).
ii Vgl. https://www.bamf.de/DE/Themen/AsylFluechtlingsschutz/AblaufAsylverfahrens/Erstverteilung/erstverteilung-node.html (aufgerufen am 25.01.2025).
iii Vgl. https://rp.baden-wuerttemberg.de/themen/international/fluechtlinge/seiten/aufnahme-und-verteilung (aufgerufen am 05.02.2025).
iv Vgl. https://www.haufe.de/recht/deutsches-anwalt-office-premium/fluechtlinge-als-mieter-rechtssichere-auswahl-von-auslaendischen-mietinteressenten_idesk_PI17574_HI11524600.html (aufgerufen am 05.02.2025).
v Vgl. https://www.bamf.de/DE/Themen/AsylFluechtlingsschutz/Ankunftszentren/ankunftszentren-node.html (aufgerufen am 25.01.2025).
viVgl. Winfried Kluth, Jakob Junghans, Die kommunale Unterbringung von Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften missachtet ihre Rechte und verhindert ein effektives Migrationsmanagement, Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik (ZAR) 43/5-6 (2023), 209-211. Das VULNER-Forschungsprojekt ist eine internationale Forschungsinitiative mit dem Ziel, ein tieferes Verständnis von den Erfahrungen Geflüchteter zu bekommen und wie diese staatlicherseits beachtet werden können.
vii Vgl. https://www.bamf.de/DE/Themen/AsylFluechtlingsschutz/Ankunftszentren/ankunftszentren-node.html (aufgerufen am 25.01.2025).
viii Vgl. https://www.stmi.bayern.de/med/pressemitteilungen/pressearchiv/2019/322b/index.php ; https://fluchtforschung.net/ankunfts-entscheidungs-und-ruckfuhrungszentren-anker-zentren-erwartungen-und-kritische-bestandsaufnahme/ (jeweils aufgerufen am 25.01.2025).
ix Vgl. https://www.caritas.de/neue-caritas/heftarchiv/jahrgang2020/artikel/ein-konzept-das-viel-verspricht-und-wenig-haelt ; https://fluchtforschung.net/ankunfts-entscheidungs-und-ruckfuhrungszentren-anker-zentren-erwartungen-und-kritische-bestandsaufnahme/ (jeweils aufgerufen am 25.01.2025).
x Vgl. Stellungnahme von Handicap International e.V. zu den Referentenentwürfen eines GEAS-Anpassungsgesetzes und eines GEAS-Anpassungsfolgegesetzes, Berlin, 21.10.2024.
xi Vgl. https://add.rlp.de/themen/soziales-und-gesundheit/flucht-und-migration/aufnahme-unterbringen-und-verteilung ; In Würde. Mit Sicherheit. Schutzkonzept für die Landesunterkünfte des Landesamts für Zuwanderung und Flüchtlinge Schleswig-Holstein (jeweils aufgerufen am 25.01.2025).
xii Vgl. Katharina Müller, Christian Schröder, Boom des privaten Sicherheitsgewerbes: Kaum Kontrolle über Wachleute in Flüchtlingsheimen, Bürgerrechte & Polizei / CILIP 111 (2016), 17-24.
xiii Vgl. https://add.rlp.de/themen/soziales-und-gesundheit/flucht-und-migration/aufnahme-unterbringen-und-verteilung (aufgerufen am 25.01.2025). Die Bestimmungen zur Höchstdauer des Aufenthalts in einer Erstaufnahmeeinrichtung finden sich in § 47 AsylG.
xiv Vgl. https://www.fachanwalt.de/magazin/asylrecht/fluechtlinge-und-wohnungsmiete ; https://passexperten.de/ratgeber/wohnsitzauflage/ ; https://www.haufe.de/recht/deutsches-anwalt-office-premium/fluechtlinge-als-mieter-rechtssichere-auswahl-von-auslaendischen-mietinteressenten_idesk_PI17574_HI11524600.html (jeweils aufgerufen am 05.02.2025). Die Wohnsitzauflage gilt für Ausländer mit bestimmten Aufenthaltstiteln. Die Begriffe „Residenzpflicht“ und „Wohnsitzauflage“ werden zwar oft synonym gebraucht, sind jedoch voneinander zu unterscheiden. Die Residenzpflicht beinhaltet sowohl die Begrenzung der Wohnsitzwahl als auch die Beschränkung der Reisefreiheit. Die Wohnsitzauflage schreibt nur vor, wo der Wohnsitz zu nehmen ist, schränkt jedoch die Reisefreiheit nicht ein. Ausführlich zur Unterscheidung von Residenzpflicht und Wohnsitzauflage siehe https://bimf.thueringen.de/flucht/wohnsitz (aufgerufen am 05.02.2025). Die Wohnsitzauflage wurde eingeführt, um die Verteilung und Integration der Aufgenommenen zu verbessern.
xv Vgl. In Würde. Mit Sicherheit. Schutzkonzept für die Landesunterkünfte des Landesamts für Zuwanderung und Flüchtlinge Schleswig-Holstein, 3 https://www.gewaltschutz-gu.de/fileadmin/user_upload/PDFs__Publikationen_/Schutzkonzept.pdf (aufgerufen am 22.01.2025).
xvi Vgl. Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg e. V., Gewaltschutzkonzept in Flüchtlingsunterkünften, https://jum.baden-wuerttemberg.de/de/migration/erstaufnahme-und-unterbringung/faq-zur-erstaufnahme ; https://www.gewaltschutz-gu.de/fileadmin/user_upload/PDFs__Publikationen_/2017-02-09_Gewaltschutzkonzept_gesamt_final.pdf (aufgerufen am 22.01.2025).
xvii Vgl. Deutscher Juristinnenbund e. V., Stellungnahme zum Referentenentwurf „Gesetz zur Anpassung des nationalen Rechts an die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS-Anpassungsgesetz)“, Berlin, 21. Oktober 2024.
xviii Vgl. Dirk Baier, Christian Pfeiffer, Sören Kliem, Gewaltkriminalität von Flüchtlingen, Die POLIZEI 109/5 (2018), 129-134.