Das Asylrecht gibt es schon seit der Antike, hat sich jedoch seitdem gewandelt. Trotz aller Wandlungen ist Asyl stets als Schutz vor Verfolgung verstanden worden. Dieser Schutz konnte an ein Heiligtum, an ein Territorium oder an einen Stadtstaat gebunden sein. Der völkerrechtliche Schutz der Flüchtlinge, wie wir ihn heute kennen, entwickelte sich seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts, und zwar als Reaktion auf verschiedene Flüchtlingswellen.

Das Asylrecht, so wie es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland festgeschrieben ist, ist ein hohes Gut und eine grundsätzliche Infragestellung dieses hohen Gutes unmenschlich. Allerdings kann durchaus über die Ausgestaltung des Asylrechts bzw. des Schutzes vor Verfolgung diskutiert werden. Eine wichtige Frage ist, ob unterschiedslos allen Menschen weltweit Asyl zu gewähren ist, oder ob es geographische Vorbehalte geben soll. Darüber hinaus ist zu klären, ob es bei der Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge eine Obergrenze geben und wie eine Verteilung der Flüchtlinge auf verschiedene Staaten erfolgen soll. Und schließlich ist zu klären, welche Rechte und Pflichten anerkannte Asylbewerber haben sollen und wie mit abgelehnten Asylbewerbern umgegangen werden soll.

Der Blick auf die Geschichte des Asylrechts zeigt, dass durchaus unterschiedliche Antworten gegeben wurden und gegeben werden können. Es gibt zwar wichtige rechtliche Grundlagen, diese sind aber nicht in Stein gemeißelt und müssen auch kritisch beleuchtet werden dürfen. Ideal und Machbarkeit stehen in Spannung zueinander, weshalb ein zugleich menschliches als auch praktikables Asylrecht so schwer zu bewerkstelligen ist.

Ursprung und Bedeutung des Begriffs „Asyl“

Bei dem Begriff „Asyl“ handelt es sich um ein Fremdwort, also um ein aus einer anderen Sprache übernommenes Wort. Seinen Ursprung hat „Asyl“ im (Alt-)Griechischen. Das Substantiv „asylia“ bedeutet „Unverletzlichkeit“. Die Adjektive „asylos“ und „asylêtos“ sowie das Adverb „asylei“ bedeuten „unverletzlich“. Alle genannten Begriffe sind aus der Wurzel „syl“ mit der Grundbedeutung „sich einer Sache oder Person gewaltsam bemächtigen“ und aus dem Präfix „a“ (a-privativum) gebildet. Ein Präfix ist ein Element, das vor der Wurzel steht und dazu da ist, ein Wort mit einer neuen Bedeutung zu bilden. Das Präfix a drückt die Abwesenheit, Umkehrung oder Wirkungslosigkeit von etwas aus oder kennzeichnet eine Verneinung. Es liegt also ein Begriffsfeld vor, das das Negativum zur gewaltsamen Aneignung, eben „Unverletzlichkeit“ kennzeichnet.

Das lateinische „asylum“ ist ein Lehnwort aus dem (Alt-)Griechischen, wobei es sich um ein Neutrum handelt. Im (Alt-)Griechischen existiert zwar auch ein Neutrum, nämlich das Substantiv „asylon“, allerdings ist dieses nur in Ägypten nachgewiesen. Das lateinische „asylum“ steht für ein Heiligtum, dem gemäß griechischer Sitte aus religiösen oder rechtlichen Gründen ein Status der Unverletzlichkeit zu eigen ist. Heiligtümern, die nicht als „asylum“ bezeichnet werden, ist ein solch herausgehobener Status nicht zu eigen.i

Asyl im antiken Griechenland und Rom

Im Hinblick auf das antike Griechenland ist zwischen Asylie (asylia) und Hikesie (hikesia) zu unterscheiden. Darüber hinaus ist zwischen der territorialen und der persönlichen Asylie zu unterscheiden. Bei der territorialen Asylie wird die Unverletzlichkeit des Territoriums eines Heiligtums oder einer Polis (= eines Stadtstaates) proklamiert und durch politische Akteure wie Könige, Poleis (= Stadtstaaten) oder Bünde meist durch Beschluss formal als „heilig und unverletzlich“ anerkannt. Die Initiative geht dabei meist von Vertretern einzelner Poleis aus, die für die gesamte Polis oder ein zu ihr gehöriges Heiligtum um Asylieverleihung ersuchen. Bei der territorialen Asylie war der betroffene Ort von Kriegshandlungen ausgeschlossen. Bei der persönlichen Asylie handelt es sich um ein Formular persönlicher Unverletzbarkeit, das einer gewissen Absicherung des Reisens und damit auch des Handels außerhalb der eigenen Rechtsgemeinschaft dient. Die Hikesie stellt eine an heiligen Orten vorgetragene rituelle Bitte um Schutzgewährung mit zunächst unhinterfragter Legitimität dar. Die Hikesie wirkt so als gesellschaftliches Regulativ, das Konflikte durch die Herausnahme einer Partei aus dem Zugriff der anderen durchaus zu deeskalieren und in Teilen sogar zu einer Lösung des Konflikts und zu einer Wiedereingliederung des Schutzsuchenden in den Bürgerverband beizutragen vermag. Seit der klassischen Zeit wird die Hikesie allerdings für bestimmte Personengruppen, zumeist Kriminelle oder Sklaven, eingeschränkt.ii

In Rom selbst war ein sakrales Asylwesen zwar nur in Ansätzen vorhanden, jedoch knüpften die römischen Feldherren, die auf griechischem Boden operierten, an die hellenistischen Herrscher an und bestätigten ihrerseits Asylrechte und erweiterten bestehende Asylbezirke. Zur Anerkennung „heiliger und unverletzlicher“ Städte mochte sich Rom freilich nicht entschließen. Auf Dauer erschien auch die Tempelflucht aus römischer Sicht als ein Ordnungsproblem.iii

Asyl im alten Vorderen Orient und im alten Ägypten

Am ehesten werden Asylbestimmungen im Alten Testament greifbar. So finden sich gesetzliche Regelungen für die Asylberechtigung bei der Tötung eines Menschen, wobei zwischen versehentlicher und absichtlicher Tötung unterschieden wird. Nicht geregelt wird das Asyl bei Krieg, Hunger, Sklavenschaft oder bei aus anderen Gründen für die Suche von Schutz. Schutz bieten können Einzelpersonen, wenn ihnen eine überdurchschnittliche Macht zur Verfügung steht, und Stadtgemeinden. Es werden sogar Asylstädte zum Schutz vor Blutrache erwähnt, wobei es keine eindeutigen Beweise dafür gibt, dass diese wirklich existiert haben. Das sakrale Asyl kommt im Alten Testament erst spät und das auch eher untergeordnet zur Sprache. Zwar ist vom Altar oder dem Tempel als Zufluchtsort die Rede, aber es gibt keinen Hinweis darauf, dass ein solcher Zufluchtsort vom Verfolger akzeptiert wurde. Das Tempelasyl ist auch nur auf den Zweiten Tempel in Jerusalem bezogen.

Dieser Befund verwundert nicht, wenn wir uns bewusst machen, dass im alten Vorderen Orient das Asyl in einem Heiligtum wohl unbekannt war. Überhaupt gibt es nur schwache und späte Hinweise auf Asyl im alten Vorderen Orient. In Ägypten scheint es die Einrichtung des Tempelasyls gegeben zu haben. Mit eindeutiger Bestimmtheit ist diese Institution jedoch erst in der Prolemäerzeit festzumachen.iv

Die Entstehung des kirchlichen Asylrechts

Die Kirche versteht sich als Anwältin für Benachteiligte und als Anwältin für die Menschenwürde und Menschenrechte aller Menschen. Als Ausdruck der christlich-humanitären Tradition gibt es das Kirchenasyl, das kein eigenes Rechtsinstitut ist. Ein Kirchenasyl ist die befristete Aufnahme von Geflüchteten in den Räumen einer Kirchengemeinde, denen bei einer Abschiebung Folter, Tod oder menschenrechtswidrige Härten drohen. Es soll Zeit gewonnen werden, damit das Schutzbegehren der Geflüchteten noch einmal sorgfältig unter rechtlichen, sozialen und humanitären Gesichtspunkten geprüft werden kann. Das Kirchenasyl ist nur für Einzelfälle als letztes Mittel gedacht, nicht für den häufigen Gebrauch. Bei diesen Einzelfällen muss seitens der betreffenden Kirche dargelegt werden, warum es für die betroffene Person individuell unzumutbar sein soll, ihr Asylverfahren in dem zuständigen Mitgliedstaat durchzuführen.v

Schon in der Antike wandten sich Bedrängte und Verfolgte ebenso wie Verbrecher an die Kirche, um dort Schutz zu suchen. Im Jahr 344 verkündete die Kirche bei Gelegenheit des Konzils von Serdika, sich zugunsten der zu den Kirchen Fliehenden verwenden zu wollen. Die Bischöfe und Kleriker, die sich vor dem Konzil von Serdika nur aus Glaubensgründen zur Hilfeleistung verpflichtet fühlten, wurden jetzt auch durch synodale Beschlüsse angehalten, für die Hilfesuchenden am Kaiserhof einzuschreiten. Das Kirchenasyl gründete auf der Nächstenliebe (caritas) und Barmherzigkeit (misericordias) und darüber hinaus auch auf der kirchlichen Bußdisziplin: Der Christ sollte sich gegenüber dem Mitmenschen, der einen Fehltritt begangen hatte, auch gegenüber dem Rechtsbrecher, barmherzig zeigen und ihn vor der staatlichen Strafgewalt und vor der privaten Rachelust schützen. Die Kirche wollte die Vollziehung der Todesstrafe abwenden, um eine Besserung zu ermöglichen, die nur im irdischen Leben erfolgen konnte. Klar ausgesprochen wurde das Asylrecht in kirchlichen Vorschriften jedoch erst im Jahre 441 im Konzil von Orange. Man durfte also jene, die in die Kirche geflüchtet waren, nicht ausliefern, sondern musste sie gemäß der Ehrwürdigkeit des Ortes mit Vermittlung verteidigen. Hier taucht die Beistandspflicht der Kleriker zusammen mit der Heiligkeit kirchlicher Stätten als Element des Asyls auf.

Im Jahr 511 berief König Chlodwig das erste gesamtfränkische Reichskonzil ein. Dieses fand in Orléans statt und regelte an erster Stelle das kirchliche Asylrecht. So wie Chlodwig hielten die Gesetzgeber aller germanischen Stämme es für wichtig, bereits in ihrer frühesten Gesetzgebung Bestimmungen über das kirchliche Asyl einzuführen. Dabei war die Ausdehnung des Kreises der Asylberechtigten ein erstes abweichendes Merkmal der frühesten germanischen Gesetzgebung gegenüber dem römischen Recht. Auch zeichneten sich die germanischen Gesetze gegenüber den römischen Bestimmungen durch ihren Pragmatismus aus. Im Gegensatz zum römischen Recht legten die germanischen Asylbestimmungen die Bedingungen der Auslieferung des Asylanten fest, statt seine Auslieferung vorübergehend zu verhindern. Weiterhin sah das Asylverfahren bei den germanischen Stämmen oft die Ableistung eines Eides vor, bei dem der Verfolger versprach, den Verfolgten nicht zu töten. Und schließlich war auch die Vermittlerrolle der Kirche im römischen und germanischen Asylverfahren unterschiedlich. Im Römischen Reich pflegte die Kirche zugunsten des ins Asyl geflüchteten Schuldigen bei der weltlichen Macht einzutreten, um für ihn eine mildere Strafe zu erwirken. Die Rolle des merowingischen Klerus war dagegen die des Vermittlers zwischen dem Schuldigen, der in eine Kirche geflohen war, und dem Verletzten.vi

Der Beginn des modernen Flüchtlingsschutzes zwischen den Weltkriegen

Der völkerrechtliche Schutz der Flüchtlinge, wie wir ihn heute kennen, entwickelte sich seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Verschiedene Ereignisse brachten große Flüchtlingswellen mit sich:

– der Genozid an den Armeniern 1915/16 und die Vertreibung der noch auf türkischen Territorium lebenden Armenier, Griechen, Assyrer, Chaldäer und anderer Minderheiten im Jahr 1922,

– die durch die Oktoberrevolution 1917 in Russland ausgelöste Fluchtwelle von ca. 1 Mio. Menschen, denen die Sowjetunion 1921 auch noch die Staatsbürgerschaft entzog,

– die Machtergreifung Benito Mussolinis und seiner Faschisten 1925 in Italien,

– der 1936 entfesselte spanischen Bürgerkrieg,

– und die Machtergreifung und Gräueltaten der deutschen Nationalsozialisten.

Diese Ereignisse und damit verbundenen Fluchtwellen führten zu einem verstärkten Bewusstsein für die besonderen Schutzbedürfnisse der Flüchtlinge. Damit wuchs auch die Tendenz vieler Staaten, die Rechtslage der Flüchtlinge auf internationaler, völkerrechtlicher Grundlage zu verbessern. Den Rahmen hierfür bot der 1920 gegründete Völkerbund, der bis 1946 bestand und ein Vorläufer der Vereinten Nationen war. Der Völkerbund, dem zeitweise bis zu 50 Staaten angehörten, war geschlossen worden, um internationale Konflikte durch diplomatische Zusammenarbeit bereits im Vorfeld friedlich beizulegen.

1921 forderte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz den Völkerbund auf, sich des enormen Problems der großen Fluchtbewegungen anzunehmen. Der Völkerbund reagierte prompt und ernannte 1921 den norwegischen Polarforscher Fridtjof Nansen zum ersten Hochkommissar für Flüchtlinge. Seine Aufgabe bestand vor allem darin, Flüchtlinge mit Pässen oder Ersatzausweisen zu versorgen, ihnen zu einer geeigneten Arbeit und Unterkunft zu verhelfen und die Hilfsmaßnahmen der Regierungen und privaten Organisationen miteinander in Einklang zu bringen.

Die Rechte von Flüchtlingen – zunächst nur solcher aus der Türkei und der Sowjetunion – wurden in der am 28. Oktober 1933 verabschiedeten Konvention des Völkerbundes über den internationalen Status der Flüchtlinge zusammengefasst und definiert. Diese Konvention, die allerdings nur von wenigen europäischen Staaten ratifiziert wurde, regelte

vor allem administrative Fragen sowie den Zugang von Flüchtlingen zu Arbeit und Bildung. Zudem fand sich in ihr zum ersten Mal das Verbot der Zurückweisung von Flüchtlingen in ein Land, in dem ihnen von staatlicher Seite Verfolgung droht (Non-Refoulement). Ein Recht auf Asyl wurde jedoch noch nicht festgeschrieben.vii

Schwierige Emigration und Flucht zur Zeit des NS-Regimes

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland führte zu einem totalitären Führerstaat. Raum für Andersdenkende gab es nicht. Regimegegner wurden von Anfang an eingeschüchtert, verfolgt und in Konzentrationslagern interniert. Daher verließen schon bald die ersten Schriftsteller, Journalisten und Künstler das Land. Als judenfeindliche Gesetze erlassen wurden, folgten viele jüdische Bürger. Die zunehmende Verfolgung bis hin zur Vernichtung führte zu großen Fluchtwellen.

Angesichts dieser Sachlage sah der Völkerbund, aus dem Nazideutschland längst ausgetreten war, erneuten Handlungsbedarf in Flüchtlingsfragen. Am 10. Februar 1938 wurde das Abkommen über die Stellung der Flüchtlinge aus Deutschland geschlossen, das den Schutz auf Personen (das heißt Juden) ausdehnte, „die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder besaßen“ und die nicht länger unter dem Schutz der deutschen Regierung standen. Dieses Abkommen blieb jedoch samt dem Zusatzprotokoll vom 14. September 1939 angesichts der Kriegssituation weitgehend wirkungslos und wurde auch nur von zwei Staaten (Vereinigtes Königreich und Belgien) ratifiziert. Im März desselben Jahres marschierte Nazideutschland in Österreich ein und annektierte das Land. Angesichts des ungewissen Schicksals hatten viele jüdische Bürger Österreichs den Drang, ihr Land zu verlassen. Dies war der Anlass für die Flüchtlingskonferenz von Évian am Genfer See, an der Delegierte von 32 Staaten und Vertreter von 39 Hilfsorganisationen teilnahmen, wobei letztere nur einen Beobachterstatus hatten. Es ging um den Schutz von etwa 300000 deutschen und 170000 österreichischen Juden, jedoch zeigten die teilnehmenden Staaten kein Interesse daran, verarmte Juden aufzunehmen. Zwar wurde anerkannt, dass den verfolgten Juden geholfen werden müsse, doch dann folgten Lamentos über die eigene komplizierte Lage, die kriselnde Ökonomie, Arbeitslosigkeit, Inflation, Demografie. Als Ergebnis der Konferenz gab es nur vage Absichtserklärungen; konkret beschlossen wurde nur die Gründung eines Flüchtlingsrats in London. Dieser sollte mit Nazideutschland die Modalitäten eines geordneten Exodus der Juden aushandeln, einschließlich der Erlaubnis, ihre Güter mitnehmen zu können – ein Ansinnen, das die Regierung Nazideutschlands kategorisch ablehnte. Weil die meisten Staaten ihre Grenzen vor den Flüchtlingen schlossen, fand der größte Teil der Flüchtlinge in den Vereinigten Staaten, im Vereinigten Königreich, in China, in Palästina und in verschiedenen Staaten Südamerikas Aufnahme.viii

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und Genfer Flüchtlingskonvention

Die Verbrechen der NS-Herrschaft und der Zweite Weltkrieg hatten vor Augen geführt, welch verheerende Auswirkungen die strikte Missachtung der Menschenrechte haben kann. Aufgrund dieser Erfahrung wurde bereits 1946 die UN-Menschenrechtskommission gegründet, deren Aufgabe darin bestand, einen internationalen Menschenrechtskodex zu entwickeln. Die Kommission unter Leitung der Witwe des vormaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, Eleanor Roosevelt, wollte ursprünglich einen völkerrechtlichen Vertrag erarbeiten. Unter dem Druck des immer stärker gärenden Ost-West-Konflikts musste sie diesen Plan jedoch aufgeben. Letztendlich einigte man sich auf eine allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 von der UN-Generalversammlung verabschiedet wurde. Im Gegensatz zu einem völkerrechtlichen Vertrag hat sie keinen völkerrechtlich bindenden Status, weshalb die dort definierten Rechte nicht eingeklagt werden können. Dennoch blieb sie nicht folgenlos: Viele ihrer Inhalte sind in nationale Verfassungen aufgenommen worden. Auch viele internationale Verträge und Übereinkommen basieren auf der Erklärung, so zum Beispiel auch die Europäische Menschenrechtskonvention. Im Hinblick auf Flucht und Asyl ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte – auch als „UN-Menschenrechtskonvention“ bezeichnet – insbesondere deshalb von Belang, weil in ihr (in Art. 14) erstmals ein Recht auf Asyl formuliert wurde.ix

Nach Kriegsende galten etwa 30 Millionen Menschen als Flüchtlinge oder als Vertriebene, darunter auch viele Soldaten, die wegen Grenzänderungen nicht in ihr Heimatland zurückkehren konnten. Diese Flüchtlingskatastrophe und das Schicksal zahlreicher jüdischer Flüchtlinge, denen zur Zeit des Zweiten Weltkriegs die Aufnahme verweigert worden war, bilden den Hintergrund der Genfer Flüchtlingskonvention, die am 28. Juli 1951 von einer UN-Sonderkonferenz in Genf verabschiedet wurde und am 22. April 1954 in Kraft trat. Die Genfer Flüchtlingskonvention (offiziell: „Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“) definiert, wer ein Flüchtling ist, und welche rechtlichen Schutzgarantien, Hilfen und sozialen Rechte die Unterzeichnerstaaten Flüchtlingen gewähren müssen. Gleichzeitig beschreibt sie die Pflichten, die ein Flüchtling dem Gastland gegenüber erfüllen muss. Ein Menschenrecht auf Asyl enthält sie nicht. Vielmehr regelt sie die Rechtsstellung im Asyl, wobei den souveränen Staaten aufgrund ihrer Hoheitsgewalt die Entscheidung über die Aufnahme von Flüchtlingen auf ihrem Territorium obliegt. Auch enthält die Genfer Flüchtlingskonvention keine Regeln zu den Asylverfahren. Die Asylverfahren fallen unter die Zuständigkeit der betreffenden Staaten, die unterschiedliche Standards ausgebildet haben.

Das Genfer Flüchtlingskonvention bildet gemeinsam mit dem Protokoll über die Rechtsstellung von Flüchtlingen aus dem Jahr 1967 die Grundlage des internationalen Flüchtlingsrechts. Aktuelle Entwicklungen geben jedoch Anlass zu Diskussionen, inwiefern Teile der Konvention noch zeitgemäß sind. Sie ist nämlich unter dem Eindruck der Ereignisse im Zweiten Weltkrieg und der ersten Jahre danach entstanden. Massenflucht wurde als ein vorübergehendes und geographisch begrenztes Phänomen wahrgenommen. Dementsprechend bezog sich die Genfer Flüchtlingskonvention ursprünglich nur auf Ereignisse, „die vor dem 1. Januar 1951 in Europa eingetreten sind“. Weil sich die Staaten nicht darauf einigen konnten, ob nur Ereignisse in Europa eingeschlossen sein sollten oder auch Ereignisse anderswo, wurden (gemäß Art. 1) beide Deutungsmöglichkeiten ermöglicht. Mit dem Protokoll über die Rechtsstellung von Flüchtlingen wurde die Genfer Flüchtlingskonvention ergänzt und die räumliche und zeitliche Begrenzung der Gültigkeit aufgehoben.

Eine zentrale Bestimmung der Genfer Flüchtlingskonvention ist das Verbot der Aus- und Zurückweisung (Non-Refoulement). So heißt es in Art. 33 Abs. 1: Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.“ In Zeiten dauerhafter Flüchtlingskrisen und steigender Flüchtlingszahlen wird dieses Verbot als große Belastung empfunden. In jedem Fall muss die Bedrohung geprüft werden, was ein langer und schwieriger Prozess ist. Ist eine Bedrohung festgestellt worden, muss dem bedrohten Menschen Schutz gewährt werden. Bei großen Flüchtlingszahlen nimmt die Akzeptanz der Schutzgewährung ab, zumal viele Flüchtlinge lange oder dauerhaft im Gastland bleiben und die Gefahr besteht, dass seitens der einheimischen Bevölkerung das Gefühl der Überfremdung aufkommt. Insofern ist die Neigung der Staaten groß, die Verantwortung für die Prüfung des Asylantrags und für die Schutzgewährung anderen Staaten aufzubürden. Da ständig neue Verfolgungssituationen auftreten können, die zudem ständig neue Bevölkerungsgruppen betreffen können, hat die Gewährung von Schutz erhebliche Auswirkungen auf die Kultur, auf den Zusammenhalt und auf die Sicherheit des Schutz gewährenden Staates. Viele Staaten weigern sich, diese erheblichen Auswirkungen hinzunehmen. Somit stellen sich die drängenden Fragen, inwieweit Aspekte der Kultur, Religion und Gesinnung im Hinblick auf die Gewährung von Schutz eine Rolle spielen sollen, und wann eine Verfolgungssituation für beendet erklärt werden kann. Selbst wenn eine Verfolgungssituation vom Schutz gewährenden Staat für beendet erklärt wird, wird nicht unbedingt der Aufenthalt beendet. Es werden dann nämlich Zweifel vorgebracht, ob man Menschen, die sich über viele Jahre hinweg gesellschaftlich und beruflich integriert haben, einfach so wieder in die Heimat zurückschicken kann. So wird aus dem Recht auf eine vorübergehende Gewährung von Schutz ein dauerhafter Aufenthalt, der möglicherweise eine Einbürgerung nach sich zieht – ein neuer Zankapfel.x

Das Asylrecht der Bundesrepublik Deutschland

Die Flüchtlingskonventionen enthalten kein Recht auf Asyl. Auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte enthält kein Recht auf Asyl, sondern (laut Art. 14) lediglich das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen. Wer verfolgt ist, darf demnach einen Asylantrag stellen. Wird dem Antrag stattgegeben, kommt die verfolgte Person in den Genuss des Asyls.

Ein Grundrecht auf Asyl gibt es allerdings durchaus, und zwar findet es sich im deutschen Grundgesetz. Gemäß Art. 16a Abs. 1 GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Diese Bestimmung ist auf die Erfahrungen im Nationalsozialismus zurückzuführen, die ein Bewusstsein dafür geschaffen haben, welch große Bedeutung dem Schutz vor staatlicher Verfolgung zukommen kann. Das Asylverfahren wird im Asylgesetz (AsylG) geregelt, wobei dieses zwischen Asyl (nach dem Grundgesetz), Flüchtlingseigenschaft (nach der Genfer Flüchtlingskonvention) und subsidiärem Schutz (nach der Europäischen Menschenrechtskonvention) unterscheidet. Das Asyl für politisch Verfolgte nach dem Grundgesetz stellt also nur einen Teil dessen dar, was wir im weiteren Sinn unter „Asyl“ verstehen und spielt in der Praxis auch nur eine geringe Rolle. Weniger als 1 % der Asylsuchenden wird ein Schutzstatus wegen politischer Verfolgung im Sinne des Grundgesetzes zugestanden.

Aus verschiedenen Gründen hat das deutsche Asylrecht an Bedeutung verloren. Erstens sind zum Asylrecht nach dem Grundgesetz die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention getreten. Zweitens ist das deutsche Asylrecht Schritt für Schritt vom Asyl- und Flüchtlingsrecht der EU überlagert worden. Drittens hat der sogenannte Asylkompromiss des Jahres 1993 für eine massive Einschränkung des deutschen Asylrechts gesorgt. So kann sich gemäß dem neu geschaffenen Art. 16a Abs. 2 nicht auf das politische Asylrecht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention sichergestellt ist. Deutschland ist von solchen Staaten umgeben, so dass Art. 16a Abs. 2 auf die meisten Flüchtlinge zutrifft, die auf dem Landweg einreisen. Darüber hinaus ermöglicht es Art. 16a Abs. 3 GG, dass sogenannte sichere Herkunftsstaaten festgelegt werden. Darunter werden Staaten verstanden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet.xi

Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS)

Mit den Bestrebungen, einen europäischen Raum ohne Binnengrenzen zu schaffen, wuchs das Bewusstsein, dass dafür eine gemeinsame Grenzpolitik und eine gemeinsame Asylpolitik nötig sind. Der wichtigste Schritt, die Asylpolitik ein Stück weit auf die europäische Ebene zu heben, stellt der Amsterdamer Vertrag von 1999 dar. Im Amsterdamer Vertrag erhielten die europäischen Institutionen in der Asylpolitik nennenswerte Kompetenzen, womit der Grundstein für das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) gelegt wurde. In der Folge baut die EU das GEAS weiter aus und reformiert es auch immer wieder. Dabei orientiert sie sich an den Prinzipien der Genfer Flüchtlingskonvention und dabei insbesondere an dem Verbot der Aus- und Zurückweisung (Non-Refoulement).xii

Im Zentrum der europäischen Asylpolitik steht die Frage, welcher Staat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist.

i Vgl. Katharina Knäpper, HIEROS KAI ASYLOS. Territoriale Asylie im Hellenismus in ihrem historischen Kontext (Historia-Einzelschriften 250), Stuttgart 2018, 22-41.

ii Ausführlich zur Asylie und Hikesie siehe Katharina Knäpper, HIEROS KAI ASYLOS. Territoriale Asylie im Hellenismus in ihrem historischen Kontext (Historia-Einzelschriften 250), Stuttgart 2018; Christian Traulsen, Das sakrale Asyl in der Alten Welt. Zur Schutzfunktion des Heiligen von König Salomo bis zum Codex Theodosianus (Jus Ecclesiasticum 72), Tübingen 2004, 131-248.

iii Vgl. Christian Traulsen, Das sakrale Asyl in der Alten Welt. Zur Schutzfunktion des Heiligen von König Salomo bis zum Codex Theodosianus (Jus Ecclesiasticum 72), Tübingen 2004, 248-266.

iv Vgl. Christian Traulsen, Das sakrale Asyl in der Alten Welt. Zur Schutzfunktion des Heiligen von König Salomo bis zum Codex Theodosianus (Jus Ecclesiasticum 72), Tübingen 2004, 9-85; Christine Dietrich, Asyl : vergleichende Untersuchung zu einer Rechtsinstitution im alten Israel und seiner Umwelt (BWANT 182 = Folge 10, Heft 2), Stuttgart 2008, 16-37; https://www.bibelwissenschaft.de/ressourcen/wibilex/altes-testament/asyl-asylrecht-at (aufgerufen am 22.03.2024).

v Vgl. https://www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/285038/beim-kirchenasyl-geht-es-um-den-schutz-des-einzelnen-ein-gespraech/ ; https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/AsylFluechtlingsschutz/merkblatt-kirchenasyl.pdf?__blob=publicationFile&v=11 (jeweils aufgerufen am 14.06.2024).

vi Vgl. Daniela Fruscione, Das Asyl bei den germanischen Stämmen im frühen Mittelalter (Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas: Fallstudien, 6), Köln 2003, die sich ausführlich mit dem Asyl bei den germanischen Stämmen im frühen Mittelalter befasst.

vii Vgl. Manfred Nowak, Antonia Walter, Flucht und Asyl in der Geschichte der Menschenrechte, Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften (ÖZG) 28/2 (2017), 172-174; Petra Haubner, Maria Kalin, Einführung in das Asylrecht: Asylverfahren – Asylgerichtsverfahren – Materielles Recht, Baden-Baden 2017, 23; https://www.fluechtlingskonvention.de/zwischen-den-weltkriegen-fluechtlinge-und-der-voelkerbund-3303/ (aufgerufen am 15.03.2024). Ausführlich zu den fehlenden Vorgaben der Genfer Flüchtlingskonvention im Hinblick auf die Asylgewährung siehe Fulvio Haefeli, Steuerung der Migrationsströme und Non-refoulement-Prinzipgemäss GFK und EMRK, Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik (ZAR) 40/1 (2020), 26-28.

viii Vgl. https://www.spiegel.de/geschichte/konferenz-von-evian-1938-kein-asyl-fuer-juedische-fluechtlinge-a-1216376.html ; https://www.deutschlandfunk.de/konferenz-von-evian-vor-80-jahren-keine-hilfe-fuer-100.html ; https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/229819/65-jahre-genfer-fluechtlingskonvention/ ; https://www.bpb.de/themen/holocaust/gerettete-geschichten/177609/exillaender-juedischer-fluechtlinge-aus-dem-deutschen-reich/ mit einem Überblick über die Zahl der jüdischen Flüchtlinge, die die einzelnen Staaten seit 1933 aufgenommen haben (jeweils aufgerufen am 15.03.2024).

ix Vgl. https://www.menschenrechtserklaerung.de/historie-der-un-menschenrechtserklaerung-372/ ; https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/543084/vor-75-jahren-allgemeine-erklaerung-der-menschenrechte/ ; https://unric.org/de/allgemeine-erklaerung-menschenrechte/ (Jeweils aufgerufen am 20.03.2024).

x Vgl. Manfred Nowak, Antonia Walter, Flucht und Asyl in der Geschichte der Menschenrechte, Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften (ÖZG) 28/2 (2017), 174-176; Petra Haubner, Maria Kalin, Einführung in das Asylrecht: Asylverfahren – Asylgerichtsverfahren – Materielles Recht, Baden-Baden 2017, 23; Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Ausarbeitung, Flüchtlings- und Asylrecht in Deutschland: Rechtsgrundlagen, Verfahren und statistische Daten, WD 3 – 3000 – 041/1, 4-5; https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/fluechtlingsschutz/genfer-fluechtlingskonvention ; https://www.bmz.de/de/themen/flucht/fachbegriffe#lexicon=21854 ; https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/337209/70-jahre-genfer-fluechtlingskonvention/ (jeweils aufgerufen am 19.12.2023). Zur Bedeutung der Genfer Flüchtlingskonvention für den europäischen Asylschutz siehe Domenica Dreyer-Plum, Die Grenz- und Asylpolitik der Europäischen Union, Tübingen 2020, 119-121. Eine Problematisierung der Genfer Flüchtlingskonvention bietet Kostas Dimakopoulos, Der Berg kreißte und gebar eine Maus, Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik (ZAR) 43/9 (2023), 334-340, der sich für die ordentliche Kündigung der Genfer Flüchtlingskonvention durch die EU ausspricht.

xi Vgl. Nora Schmidt, Extraterritoriale Asylverfahrensstandorte. Neue Wege in der Europäischen Flüchtlingspolitik (Europäische Hochschulschriften Recht 6107), Berlin 2019, 41-49; Matthias Wagner, Offene Grenzen und Festung Europa. Eine systematische Analyse aktueller politischer Asyl- und Migrationskonzepte, Wiesbaden 2022, 29-30.

xii Im Zuge der Sicherung der Außengrenzen stellt sich die Frage, wie eng das Verbot der Aus- und Zurückweisung ausgelegt werden soll. Dazu Falk Fritzsch, Die Europäische Union benötigt einen effektiven Außengrenzenschutz, Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik (ZAR) 43/3 (2023), 112-117.