Die weite Reise der Migranten nach Europa ist gefährlich und jedes Jahr kommen Tausende Migranten auf dem Mittelmeer um. Außerdem ist die Zahl der Migranten, die in der Europäischen Union (EU) einen Schutzstatus ersucht, so hoch, dass seitens der Bevölkerung die Akzeptanz Schutzsuchender sinkt. Ist ein Aufnahmeantrag abgelehnt worden, dann bedeutet das noch lange nicht, dass die betroffene Person unverzüglich ins Heimatland zurückgeführt werden kann. Insbesondere nach dem Verlust oder der Vernichtung der Reisepapiere kann nämlich die Identität nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Darüber hinaus sind nicht alle Herkunftsländer zu einer Rücknahme ihrer Staatsbürger bereit. Und schließlich verursacht die Rückführung eines Migranten in sein oftmals weit entfernt liegendes Heimatland den Behörden hohe Kosten.
Da liegt der Versuch nahe, die Anträge Schutz suchender Menschen nicht erst auf dem Territorium eines EU-Mitgliedsstaates oder an der EU-Außengrenze zu behandeln, sondern in einem Drittstaat oder Transitstaat. Auf diese Art – so die Hoffnung – würden deutlich weniger Migranten nach Europa kommen. Und nur diejenigen, die die Schutz-Voraussetzungen erfüllen. Dieser Lösungsversuch birgt jedoch Schwierigkeiten. Erstens muss man zunächst einmal ein Land finden, das die Prüfung der Schutzgesuche und die vorübergehende Aufnahme der Schutzsuchenden auf seinem Territorium gestattet. Zweitens muss der Schutzstatus von Geflüchteten unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention erfolgen. Drittens wird genügend Personal benötigt, das zudem auch ausreichend gut ausgebildet sein muss. Und viertens muss dieses Personal dazu bereit sein, in dem Dritt- oder Transitland zu wohnen und sich mit den dortigen Begebenheiten zu arrangieren.
Rechtliche Grundlagen
Gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und UN-Antifolterkonvention (CAT) dürfen Asylbewerber nicht in ein Land zurückgeschickt werden, in dem Verfolgung droht (Refoulement-Verbot). Das bedeutet, dass Asylverfahren in Dritt- oder Transitstaaten durchgeführt werden können, sofern dort keine Verfolgung droht.
Jeder hat auch ein Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit. Niemand darf willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten werden. Darüber hinaus hat jeder ein Recht auf ein faires Verfahren.
In den Dritt- oder Transitstaaten muss ein angemessener Lebensstandard hinsichtlich Ernährung, Unterbringung, Kleidung und Gesundheitsversorgung gewährleistet sein, der elementaren Menschenrechten entspricht. Dabei richtet sich das Niveau nach der Situation im jeweiligen Aufnahmestaat.i
Internierungslager für Flüchtlinge
Die Durchführung von Asylverfahren in Dritt- und Transitstaaten ist nichts gänzlich Neues. So werden Flüchtlinge, die auf Booten Australien zu erreichen versuchen, um dort einen Asylantrag zu stellen, von der Küstenwache aufgegriffen. Die Flüchtlinge werden, sofern ihre Boote noch seetauglich sind, zurückgeschickt oder nach Nauru, zur (zu Papua-Neuguinea gehörigen) Insel Manus oder auf die (zu Australien gehörigen) Weihnachtsinseln gebracht. Dort unterhält die australische Regierung seit 2001 (mit einigen Jahren Unterbrechung) Internierungslager (englisch: offshore processing facilities). Mittels dieser Vorgehensweise soll die Botschaft gesendet werden, dass irreguläre Einwanderer nicht auf ihre Aufnahme in Australien hoffen können.
Die Asylverfahren werden von australischen Beamten in Nauru und Papua-Neuguinea durchgeführt, ohne dass damit der Zugang zum australischen Asylsystem einhergeht. Für die Dauer des Asylverfahrens wird den Asylsuchenden ein Visum für Sonderzwecke ausgestellt.
Die beiden armen Inseln Manus und Nauru nehmen illegal nach Australien eingereiste Asylbewerber gegen Ausgleichszahlungen auf. Während auf Manus ein dauerhafter Aufenthalt vorgesehen wurde, hat Nauru hat es von vornherein abgelehnt, unbefristete Aufenthaltstitel zu vergeben. Die Flüchtlinge bekommen höchstens ein Fünf- und im Anschluss ein Zehnjahresvisum. Nur wenige Flüchtlinge werden schließlich in anderen Ländern wie Kambodscha oder Australien untergebracht. Die Möglichkeit auf Asyl in Australien besteht nicht.
Die sogenannte „Pazifische Lösung“ erfährt erhebliche Kritik: Die Zurückweisung der Flüchtlinge verstoße gegen das Völkerrecht (Genfer Flüchtlingskonvention, internationales Seerecht, Völkergewohnheitsrecht). Die Lebensbedingungen der inhaftierten Personen einschließlich Kindern, insbesondere die medizinische und sanitäre Versorgung sowie die lange Inhaftierungsdauer während des Verfahrens, seien menschenunwürdig. Es mangele an einer unabhängigen, gerichtlichen Überprüfung der Inhaftierung und der im Asylverfahren getroffenen Entscheidung. Auch gebe es keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand.ii
Europäische Pläne zur Extraterritorialisierung
Wer in einem EU-Staat Asyl erhalten wollte, musste bisher den Asylantrag auf dem Boden eines EU-Staates stellen. Seit dem Ende der 2000er Jahre wird in der europäischen Diskussion jedoch zunehmend die Auslagerung von Asylverfahren in Staaten diskutiert, die nicht zur EU gehören. Hintergrund der Auslagerung der Asylverfahren in solche Drittstaaten sind Probleme bei der Unterbringung der Flüchtlinge und das sich in der Bevölkerung zunehmend ausbreitende Gefühl der Überfremdung und Gefährdung. Wenn die Asylverfahren in Drittstaaten durchgeführt werden, so der Hintergedanke, werden die Flüchtlingsunterkünfte und der Wohnungsmarkt entlastet und die Zahl der Flüchtlinge auf europäischem Boden reduziert. Wenn also nur bereits anerkannte Flüchtlinge aufgenommen würden, steigere das die Akzeptanz des Asyls.. Auch wird vorgebracht, dass die weite und gefährliche Reise nach Europa entfalle, wenn beispielsweise afrikanische Flüchtlinge den Asylantrag in einem afrikanischen Staat stellen könnten. Tatsächliche Flüchtlinge könnten leichter einen Asylantrag stellen und es werde das Problem gemildert, dass Asylbewerber, die das EU-Territorium erreicht haben, im Falle der Ablehnung ihres Antrags nur schwer wieder in ihre Heimat abgeschoben werden können.
Im Jahr 2003 legte die britische Regierung einen Vorschlag zur effektiveren Steuerung der Migration in und nach Europa vor. Der britische Vorschlag sah zum einen regionale Schutzgebiete in den Herkunftsregionen der Flüchtlinge, zum anderen Asylverfahrenseinrichtungen auf Transitrouten vor. Gemäß diesem Vorschlag sollten alle spontan in Europa ankommenden Asylsuchenden zu den regionalen Schutzgebieten und zu den Asylverfahrenseinrichtungen auf Transitrouten gebracht werden, wo ihre Anträge zu bearbeiten seien.
Dieser neue Ansatz rief jedoch Bedenken und Kritik hervor: Ist eine solche Rückführung angesichts der Gefahr, dass irreguläre Migranten in der EU untertauchen, realistisch? Ist eine Internierung außerhalb der EU rechtlich zulässig? Sind die „sicheren Drittstaaten“, in denen die Asylverfahren durchgeführt werden sollen, tatsächlich sicher? Werden die Mindeststandards eingehalten, die an Asylverfahren anzulegen sind? Und wird das Problem der Überlastung nur in die Drittländer verlagert statt gelöst?
Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) legte 2003 einen Gegenvorschlag vor. Der Gegenvorschlag gliederte sich in einen regionalen, nationalen und europäischen Zweig: Der regionale Zweig zielte auf den verbesserten Zugang zu (Langzeit-)Lösungen in den Herkunftsregionen, insbesondere in Erstasylstaaten, ab. Der nationale Zweig zielte auf eine Verbesserung der Asylverfahren – die Verfahren sollten einheitlicher, klarer und einfacher sein – und auf angemessene Schutzmaßnahmen ab. Der nationale Zweig sollte nur Personen betreffen, die noch nicht in einem Erstasylstaat effektiven Schutz erhalten haben und dorthin zurückkehren könnten. Der EU-Zweig schließlich sah die Errichtung einerseits von EU-Aufnahmezentren nahe der europäischen See- und Landgrenzen zur Verfahrensdurchführung für bestimmte Kategorien von Asylanträgen und andererseits eine EU-Asylagentur vor. Verfahrenselemente wie Registrierung und Vorprüfung sollten von nationalen Behörden nach und nach auf die EU-Ebene verlagert werden. Die EU-Asylagentur sollte zukünftig auch Entscheidungen im Rahmen eines gemeinsamen EU-Verfahrens treffen und Rückführungen organisieren. Der Gegenvorschlag wurde vom UNHCR überarbeitet und klarer gefasst.
Die Vorschläge der britischen Regierung und des UNHCR stimmen in vielerlei Hinsicht miteinander überein. Eine Besonderheit des UNHCR-Vorschlags ist jedoch die starke Europäisierung der Asylverfahren: Zum einen soll dadurch eine Abwälzung der Lasten auf einzelne EU-Staaten vermieden und stärkere Lastenteilung erreicht werden, zum anderen sollen die Asylverfahren auf EU-Territorium bzw. an den EU-Außengrenzen erfolgen und nicht in Drittstaaten ausgelagert werden. Im Vergleich zum britischen Vorschlag sah sich der UNHCR-Gegenvorschlag weniger rechtlichen Bedenken ausgesetzt. Allerdings ließ er offen, wie lebensgefährliche Fluchtrouten und Überfahrten aus den Herkunftsregionen in die EU verhindert werden können.
In der EU hat sich der Blick auf die Frage, inwieweit Asylverfahren ausgelagert werden können, zunehmend verstärkt. Die Kommission hat sie in ihren Mitteilungen aufgegriffen und Machbarkeitsstudien in Auftrag gegeben. Mit der Migrationswelle seit 2014, spätestens aber seit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015, rückte die Extraterritorialisierung in den Fokus der EU-Asylpolitik.iii
Mindeststandards für Asylverfahren in Dritt- oder Transitstaaten
Internierungslager für Flüchtlinge kommen im Hinblick auf die EU nicht infrage, weil eine dauerhafte Internierung von Flüchtlingen gegen die Menschenrechte verstößt.iv Wenn auf Asylverfahren in Drittstaaten keine Internierung erfolgen darf, so heißt das aber noch lange nicht, dass grundsätzlich in Drittstaaten keine Asylverfahren stattfinden dürfen. Asylbewerber haben kein Recht auf die freie Wahl des Landes, in dem ihr Asylantrag behandelt wird. Insofern sind Asylverfahren in Dritt- oder Transitstaaten möglich, sofern rechtsstaatliche Prinzipien eingehalten werden: Es müssen faire Verfahren gewährleistet sein, der Dritt- oder Transitstaat muss für die Asylbewerber sicher sein, d. h. es darf dort keine Verfolgung drohen, und es darf keine Abschiebung in Staaten erfolgen, in denen dem Asylbewerber Verfolgung droht. Auch müssen im Dritt- oder Transitstaat Unterbringung und Lebensbedingungen menschenwürdig sein. Schließlich kann auch ein Verbindungselement gefordert werden. Ein solches Verbindungselement können familiäre Verbindungen oder vorheriger Aufenthalt in dem Drittstaat sein.
Eine erhebliche Herausforderung stellt die Klärung der Zuständigkeit für die Unterbringung und Versorgung der Asylbewerber und für die Durchführung der Antragsprüfung dar. Wer ist dafür verantwortlich, dass die Vorgaben eingehalten werden: die EU, einzelne Mitgliedstaaten oder das jeweilige Dritt- oder Transitland? Und welches sind die Konsequenzen, wenn die Vorgaben nicht eingehalten werden? Inwiefern kann ein Staat Befugnisse auf dem Territorium des Staates haben, auf dem die Asylverfahren durchgeführt werden? Und welche finanziellen Vereinbarungen werden hinsichtlich der Kosten getroffen? Alle diese zu klärenden Fragen lassen erahnen, dass die Durchführung von Asylverfahren in Dritt- oder Transitstaaten problematisch ist, wenn auch nicht unmöglich. Sie setzen enge Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen dem eigentlich für die Bearbeitung des Asylantrags verantwortlichen Staat und dem Dritt- oder Transitstaat voraus. Verfahren auf dem Territorium der EU bzw. des eigentlich verantwortlichen Staates sollten weiterhin neben der Bearbeitung außerhalb des Territoriums möglich sein.v
Offene Fragen hinsichtlich des Verbleibs abgelehnter und anerkannter Asylbewerber
Nicht nur die erforderlichen Mindeststandards für Asylverfahren stellen eine Hürde dar, sondern auch die Frage, was denn mit den abgelehnten und anerkannten Asylbewerbern nach Abschluss des Asylverfahrens geschehen soll. Hinsichtlich abgelehnter Asylbewerber legt sich eine Abschiebung ins Herkunftsland nahe. Aber wenn schon europäische Staaten nicht immer in der Lage sind, abgelehnte Asylbewerber in ihr Herkunftsland abzuschieben, dann dürfte es von einem Dritt- oder Transitstaat aus nicht leichter sein, es sei denn, er unterhält außergewöhnlich gute diplomatische Beziehungen. Wenn abgelehnte Asylbewerber im Dritt- oder Transitstaat verbleiben, wie wird die Akzeptanz seitens der heimischen Bevölkerung hergestellt und wie werden sie integriert?
Bei anerkannten Asylbewerbern ist zu klären, ob sie in das EU-Mitgliedsland gebracht werden, das die Asylverfahren ausgelagert hat, oder ob sie im Dritt- oder Transitstaat verbleiben. Wenn es keine eindeutigen Regelungen gibt, dann müssen die Rahmenbedingungen geklärt werden: Wie viele anerkannte Asylbewerber sollen in das EU-Mitgliedsland dürfen? Nach welchen Kriterien soll sich richten, wer in das EU-Mitgliedsland gebracht wird, und wer im Dritt- oder Transitstaat bleiben muss? Und wie wird dafür gesorgt, dass in dem Dritt- oder Transitstaat für die Durchführung der Asylverfahren und für die Aufnahme von Asylbewerbern die Akzeptanz gewahrt bleibt? Welche finanziellen oder sonstigen Leistungen soll der Dritt- oder Transitstaat seitens des auslagernden EU-Mitgliedslandes für die Durchführung der Asylverfahren und für die Aufnahme von anerkannten Asylbewerbern erhalten? Und wie auch bei den abgelehnten Asylbewerbern stellen sich die Fragen der Akzeptanz und Integration.vi
Auslagerung von Asylverfahren nach Ruanda
Dass die Einwände und offenen Fragen ernst genommen werden müssen, zeigt das Urteil des Supreme Court, des obersten britischen Gerichts, das den geplanten Asyl-Deal der britischen Regierung mit dem ostafrikanischen Staat Ruanda als rechtswidrig beurteilte und damit ein vorhergehendes Urteil bestätigte. Demnach erfülle Ruanda nicht die notwendigen Voraussetzungen für den Asyl-Deal.
Ruanda hat sich für den Asyl-Deal aus verschiedenen Gründen angeboten: Es beherbergt bereits aus den Nachbarstaaten über 100000 Flüchtlinge und hat somit Erfahrung bei der Flüchtlingsaufnahme. Ruanda, das selbst der Menschenrechtsverletzungen bezichtigt wird, erhofft sich durch den Asyl-Deal eine Verbesserung seines politischen Rufs. Außerdem würde der Staat Geld für Infrastrukturprojekte sowie finanzielle Unterstützung für die Unterbringung, Verpflegung und Integration der Flüchtlinge erhalten.vii Das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) begrüßte das Urteil,viii Dabei hat es seit 2019 im Rahmen einer UN-Vereinbarung Hunderte Menschen von den menschenunwürdigen Lagern in Libyen nach Ruanda gebracht, von wo aus sie in weitere Länder verteilt wurden.ix Die Erfahrungen sind demnach wohl nicht überzeugend gewesen.
Verschiedene Modelle der Extraterritorialisierung
Die Vielzahl an rechtlichen Fragen und Gesichtspunkten, die zu beachten bzw. zu klären sind, bringt mit sich, dass verschiedene Modelle der Extraterritorialisierung in Erwägung gezogen werden. In Deutschland sind dies (Stand Juni 2024) drei:
Modell 1 ist die Extraterritorialisierung der Schutzgewährung. Dieses Modell entspricht im Wesentlichen dem von der britischen Regierung verfolgten „Ruanda-Modell“. Dabei werden – von wenigen Ausnahmen abgesehen – alle schutzsuchenden Personen, die irregulär das Hoheitsgebiet des Zielstaates erreichen, auf Grundlage eines bilateralen Abkommens mit einem sicheren Drittstaat in diesen transferiert. Der Drittstaat führt anschließend die Asylverfahren nach seinem nationalen Recht unter Wahrung völkerrechtlicher Verpflichtungen durch und gewährt im Falle eines positiven Ausgangs Schutz. Übernahmen von Personen mit anerkanntem Schutzstatus in den Zielstaat der Schutzsuchenden finden allenfalls auf freiwilliger Basis statt (insbesondere Resettlement). Auch für die Rückführung abgelehnter Schutzsuchender in ihre jeweiligen Herkunftsländer ist allein der Drittstaat verantwortlich.
Modell 2 ist die Extraterritorialisierung der Asylverfahren. Dieses entspricht im Wesentlichen dem von Italien und Albanien ratifizierten Memorandum zur Durchführung von nach italienischen oder europäischen Rechtsvorschriften vorgesehenen Grenzverfahren in Albanien und Rückführungen aus Albanien heraus. Dieses Memorandum sieht vor, dass Schutzsuchende, die im Mittelmeer von Schiffen der italienischen Behörden gerettet wurden, nach Albanien verbracht werden. Dort werden dann durch die italienischen Behörden in Anwendung italienischen Rechts die Asylverfahren durchgeführt. Die Schutzsuchenden, die einen positiven Asylbescheid erhalten, sollen in Italien aufgenommen werden. Was mit denjenigen geschieht, deren Asylantrag abgelehnt wird, bleibt offen.
Eine 1:1-Übertragung dieses Modells auf Deutschland ist jedoch aufgrund der unterschiedlichen geographischen Lage Italiens und Deutschlands nicht möglich. Im Gegensatz zu Italien ist Deutschland kein Mittelmeer-Anrainerstaat. Schutzsuchende haben vor der Verbringung in einen Drittstaat in der Regel deutsches Hoheitsgebiet und zuvor auch bereits das Territorium anderer EU-Mitgliedstaaten betreten, wodurch besondere rechtliche Verpflichtungen ausgelöst werden.
Modell 3 ist ein sogenanntes „Hinwegmodell“. Es sieht vor, dass Schutzsuchende auch auf Transitrouten die Möglichkeit bekommen, einen Asylantrag zu stellen, und der Asylantrag dort bearbeitet wird. Eine solche Möglichkeit gibt es bisher nicht. Allerdings gibt es beispielsweise in Lateinamerika vom Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) und von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) betriebene regionale Beratungsstellen (sog. Safe Mobility Offices), die Schutzgesuche vorprüfen und gegebenenfalls legale Migrationswege aufzeigen.x
Problematische Umsetzung der Extraterritorialisierung
Bei allen drei diskutierten Modellen ist die Umsetzung problematisch. Sie ist es zum einen in rechtlicher Hinsicht, weil Deutschland anderen rechtlichen Rahmenbedingungen als das Vereinigte Königreich unterliegt und anders als Italien kein Mittelmeer-Anrainerstaat ist. Sie ist es aber auch in praktischer Hinsicht, weil nicht klar ist, wie die praktische Umsetzung erfolgen soll. Diese sieht sich nämlich mit zahlreichen logistischen und finanziellen Unklarheiten und Problemen konfrontiert, bei deren Klärung bzw. Lösung rechtliche Vorgaben beachtet werden müssen. Australien hat zwar langjährige Erfahrung mit der Auslagerung der Asylverfahren, kann jedoch aufgrund anderer rechtlicher und geographischer Rahmenbedingungen nicht als Vorbild dienen.
Der Drittstaat muss zuverlässig und möglichst dauerhaft bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Einen solchen zu finden, ist schwierig. Auch müssen entwicklungspolitische und außenpolitische Aspekte berücksichtigt werden, denn Auslagerungsmodelle haben Auswirkungen auf andere politische Interessen wie z.B regionale Stabilität, Handel, multilaterale und regionale Absprachen sowie auf die Ziele der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und Außenpolitik. Ob Extraterritorialisierung tatsächlich die gewünschte abschreckende Wirkung entfaltet, wird sich zeigen müssen.xi
i Vgl. Pauline Endres de Oliveira, Nikolas Feith Tan, External Processing. A Tool to Expand Protection or Further Restrict Territorial Asylum?, Februar 2023, 9-10, https://www.migrationpolicy.org/research/external-processing-asylum (aufgerufen am 14.12.2023); Daniel Thym, Mindestanforderungen des EU-Primärrechts und des Flüchtlingsvölkerrechts an sekundärrechtliche Regelungen, die vorsehen, Asylanträge mit Blick auf Schutz- und Unterkunftsmöglichkeiten in dritten Staaten (Transitstaaten, sonstige Staaten) oder einzelnen Teilgebieten solcher Staaten ohne Sachprüfung abzulehnen, Gutachterliche Stellungnahme für das Bundesministerium des Innern, 19. Januar 2017. Zum Grundsatz der Nicht-Zurückweisung (Non-Refoulement) siehe Art. 33 GFK; Art. 3 CAT. Diese Bestimmungen sind in einem engen Zusammenhang mit dem Verbot der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe zu sehen, wie es in Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und in Art. 7 des Zivilpakts (Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte / ICCPR) festgeschrieben ist. Zum Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit siehe Art. 9 ICCPR und Art. 5 EMRK. Zum Recht auf ein faires Verfahren siehe Art. 6 EMRK.
ii Vgl. Nora Schmidt, Extraterritoriale Asylverfahrensstandorte. Neue Wege in der Europäischen Flüchtlingspolitik (Europäische Hochschulschriften Recht 6107), Berlin 2019, 183-265; Rachel Sharples, Disrupting State Spaces: Asylum Seekers in Australia’s Offshore Detention Centres, Social Sciences, 10,82 (2021); https://doi.org/10.3390/socsci10030082; https://dgvn.de/meldung/australien-unhcr-fordert-loesungen-fuer-inhaftierte-fluechtlinge/ ; https://monde-diplomatique.de/artikel/!5584304 (jeweils aufgerufen am 10.11.2023).
iii Vgl. Nora Schmidt, Extraterritoriale Asylverfahrensstandorte. Neue Wege in der Europäischen Flüchtlingspolitik (Europäische Hochschulschriften Recht 6107), Berlin 2019, 267-294.
iv Vgl. Daniel Thym, Mindestanforderungen des EU-Primärrechts und des Flüchtlingsvölkerrechts an sekundärrechtliche Regelungen, die vorsehen, Asylanträge mit Blick auf Schutz- und Unterkunftsmöglichkeiten in dritten Staaten (Transitstaaten, sonstige Staaten) oder einzelnen Teilgebieten solcher Staaten ohne Sachprüfung abzulehnen, Gutachterliche Stellungnahme für das Bundesministerium des Innern, 19. Januar 2017, 44 mit weiteren Quellenangaben.
v Zu den gesetzlichen und praktischen Herausforderungen siehe Pauline Endres de Oliveira, Nikolas Feith Tan, External Processing. A Tool to Expand Protection or Further Restrict Territorial Asylum?, Februar 2023, 21-25, https://www.migrationpolicy.org/research/external-processing-asylum (aufgerufen am 14.12.2023).
vi Auf die zahlreichen Schwierigkeiten von Asylverfahren in Drittstaaten geht ausführlich der Abschlussbericht des Bundesministerium des Innern ein, https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/migration/BMI25052-abschlussbericht-asylverfahren-drittstaaten.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (aufgerufen am 09.05.2025).
vii Vgl. https://www.srf.ch/news/international/umstrittenes-abkommen-warum-ruanda-an-fluechtlingen-aus-europa-interessiert-ist (aufgerufen am 21.11.2023).
viii Vgl. https://www.unhcr.org/dach/de/101167-unhcr-begruesst-urteil-gegen-ueberstellung-von-asylsuchenden-nach-ruanda.html (aufgerufen am 21.11.2023).
ix Vgl. https://www.spiegel.de/ausland/ruanda-warum-die-eu-ein-fluechtlingslager-fuer-gefluechtete-aus-libyen-finanziert-a-0db93ffa-e2b3-4ca6-8d1c-a790317ffe08; https://www.welt.de/politik/ausland/article239350793/Fluechtlinge-in-Ruanda-Ich-bete-taeglich-zu-Gott-diesen-Ort-zu-verlassen-sagt-Faisal-20-aus-Aethiopien.html (jeweils aufgerufen am 21.11.2023).
x Vgl. Bericht des Bundesministeriums des Innern und für Heimat. Sachverständigenanhörungen zum Prüfauftrag der Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 6. November 2023, https://fragdenstaat.de/dokumente/248125-sachstandsbericht_asylverfahren_drittstaaten_bmi/ ; https://www.welt.de/politik/ausland/article248413968/Asylverfahren-in-Drittlaendern-Mit-der-Albanien-Loesung-will-Italien-die-Migrationskrise-in-den-Griff-bekommen.html (jeweils aufgerufen am 03.07.2024).
xi Ausführliche Bewertung im Bericht des Bundesministeriums des Innern und für Heimat. Sachverständigenanhörungen zum Prüfauftrag der Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 6. November 2023, https://fragdenstaat.de/dokumente/248125-sachstandsbericht_asylverfahren_drittstaaten_bmi/ (aufgerufen am 03.07.2024).