Ende 2023 waren 117,3 Mio. Menschen auf der Flucht, so viele wie nie zuvor. Die Fluchtgründe sind vielfältiger Art: Verfolgung, Krieg, Konflikte, Verletzung von Menschenrechten und Katastrophen.

Wenn Menschen flüchten, dann versuchen sie meist, möglichst nahe der Heimat Schutz zu finden. Zunächst einmal versuchen sie, innerhalb ihres Landes zu bleiben. Wenn dies nicht möglich ist, sind die Nachbarstaaten Zielorte erster Wahl. So kommt es, dass die meisten Flüchtlinge aus außereuropäischen Staaten nicht nach Europa kommen. In Europa mögen die hohen Flüchtlingszahlen als Belastung angesehen werden, tatsächlich tragen jedoch die Nachbarstaaten der Herkunftsländer der Flüchtlinge die Hauptlast. Die Aufnahme einer Vielzahl Flüchtlinge führt oftmals zu Konflikten mit den Einheimischen. Auch werden die Konflikte aus den Herkunftsstaaten in die Aufnahmestaaten hineingetragen.

Aus europäischer Sicht mag es anzustreben sein, dass ein Großteil der Flüchtlinge nahe ihres Herkunftsstaates bleibt. Im Hinblick auf eine erhoffte baldige Rückkehr ist das auch sinnvoll. Nicht vergessen werden sollte jedoch, dass ein Großteil der Flüchtlinge in den Nachbarstaaten keine Perspektive hat und dort unter erbärmlichen Bedingungen lebt. Wenn die heimatnahe Unterbringung als Lösung des Flüchtlingsproblems propagiert wird, muss aufgezeigt werden, wie sich die Lebensbedingungen in den Nachbarstaaten verbessern und die Konflikte mindern lassen, damit ein längerfristiger Aufenthalt möglich wird.

Binnenvertriebene

Zivilisten, die innerhalb ihres Landes auf der Flucht vor Konflikten, Gewalt oder allgemeinen Menschenrechtsverletzungen sind, werden als „Binnenvertriebene“ bezeichnet. Binnenvertriebene machen mehr als die Hälfte der weltweit über 110 Millionen Menschen auf der Flucht aus.

Obwohl es sich um Flüchtlinge im eigenen Land handelt, werden die Binnenvertriebenen nicht als Flüchtlinge anerkannt, da laut Genfer Flüchtlingskonvention nur als Flüchtling gilt, wer eine internationale Grenze übertritt. Für die betroffenen Menschen bedeutet das eine große Unsicherheit. Ohne ein rechtliches Abkommen, das der Genfer Flüchtlingskonvention entspricht, gibt es keine Schutzgarantien, keine Rechte und keine Hilfen. Für den Schutz von Binnenvertriebenen sind die jeweiligen Staaten selbst verantwortlich, die dieser Aufgabe aber häufig nicht nachkommen können oder wollen. Internationale Unterstützung erhalten Binnenvertriebene nur, wenn ihre Regierung dem zustimmt. So leben die Binnenvertriebenen nicht selten in Armut und am Rande der Gesellschaft – ihre Zukunft und die ihrer Kinder ist unsicher.i

Flüchtlinge

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird als „Flüchtling“ jede Person bezeichnet, die aus irgendeinem Grund aus ihrem Herkunftsland geflüchtet ist. Die Fluchtgründe können alle erdenklichen sein, wie z. B. Flucht vor Unterdrückung, Bedrohung des Lebens oder der Freiheit, vor Verfolgung, vor erdrückender Armut oder (Bürger-)Krieg und schließlich vor Naturkatastrophen und Hungersnöten. Von diesem allgemeinen Sprachgebrauch sind die rechtlichen Definitionen zu unterscheiden, die sich in verschiedenen Flüchtlingskonventionen finden. Unter den Flüchtlingskonventionen, die teilweise wie z. B. die Afrikanische Flüchtlingskonvention nur regional Anwendung finden, findet sich die Genfer Flüchtlingskonvention, die von den Staaten am häufigsten ratifiziert wurde und damit in der Praxis die wichtigste Flüchtlingskonvention ist.

Laut Artikel 1A der Genfer Flüchtlingskonvention ist ein Flüchtling eine Person, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will“. In Artikel 1F ist festgelegt, dass bestimmte Gruppen – zum Beispiel Kriegsverbrecher – vom Flüchtlingsstatus ausgeschlossen sind.

Die Genfer Flüchtlingskonvention (offiziell: „Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“) ist im internationalen Flüchtlingsschutz das wichtigste Dokument. Sie definiert, wer ein Flüchtling ist, und welche rechtlichen Schutzgarantien, Hilfen und sozialen Rechte die Unterzeichnerstaaten Flüchtlingen gewähren müssen. Gleichzeitig beschreibt das Abkommen die Pflichten, die ein Flüchtling dem Gastland gegenüber erfüllen muss. Die Genfer Flüchtlingskonvention resultierte aus den Erfahrungen mit Fluchtbewegungen im Zweiten Weltkrieg. Sie wurde am 28. Juli 1951 verabschiedet und trat am 22. April 1954 in Kraft. Sie und richtete sich in ihrer ursprünglichen Fassung vor allem an europäische Menschen, die im Zuge des Zweiten Weltkriegs fliehen mussten. Durch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1967 wurde der Wirkungsbereich der Genfer Flüchtlingskonvention sowohl zeitlich als auch geographisch erweitert.ii

In afrikanischen Staaten ist darüber hinaus für die Anerkennung als Flüchtling auch die Definition der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) maßgeblich. In deren Konvention findet sich in Artikel 1, Absatz 1 eine Flüchtlingsdefinition, die wie die Genfer Flüchtlingskommission eine persönliche Verfolgung oder drohende Verfolgung im Heimatland aus bestimmten Gründen voraussetzt. In Absatz 2 schließt die OAU-Konvention jedoch umfassendere Fluchtgründe mit ein. So heißt es: „Der Begriff »Flüchtling« gilt auch für jede Person, die aufgrund von äußerer Aggression, Okkupation, ausländischer Vorherrschaft oder Ereignissen, die ernsthaft die öffentliche Ordnung stören, sei es in ihrem gesamten Herkunftsland oder einem Teil davon oder in dem Land, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, gezwungen ist, den Ort, an dem sie für gewöhnlich ihren Wohnsitz hatte, zu verlassen, um an einem anderen Ort außerhalb ihres Herkunftslandes oder des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, Zuflucht zu nehmen.“ In Sambia beispielsweise sind die meisten Flüchtlinge auf Grundlage dieses zweiten Absatzes als Flüchtlinge anerkannt, also als Menschen, die ihr Herkunftsland nicht aufgrund von persönlicher Verfolgung verlassen, sondern wegen der Gefahren, die dort vor allem Kriege und Bürgerkriege mit sich bringen. Die Anerkennung erfolgt dabei in Kenntnis der Zustände im jeweiligen Herkunftsland für die gesamten Gruppen der Fliehenden, also ohne Einzelfallprüfung.iii

Flüchtlinge, die ihr Land zum Zwecke der Asylantragstellung verlassen oder verlassen haben, aber das angestrebte Asylverfahren noch nicht durchlaufen haben, sind Asylsuchende. Diese werden in rechtlicher Hinsicht von den Flüchtlingen und von den sonstigen Migranten unterschieden.

Flüchtlingszahlen weltweit

Ende 2023 waren 117,3 Mio. Menschen auf der Flucht, so viele wie nie zuvor. Hatte sich die Zahl der Flüchtlinge bis 2012 auf einem in etwa gleichbleibenden Niveau (von etwa 40 Mio.) bewegt, so stieg sie seit 2012 rasant an. Dabei ist ein neues Phänomen, dass die Flüchtlingswellen nicht mehr kurzzeitig und vorübergehend sind, sondern lang anhaltend. Der rasante Anstieg ist auch bei der Zahl der Binnenvertriebenen zu beobachten: 2012 waren es noch rund 26 Mio., 2022 schon 62,5 Mio.iv

Besondere politische Ereignisse ließen in den vergangenen Jahrzehnten die Flüchtlingszahlen immer wieder hochschnellen. 1980 ließ der Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan und der folgende Krieg mehr als die Hälfte der Bevölkerung das Land verlassen, wobei 1,3 Mio. Afghanen in die Nachbarstaaten flohen. Im gleichen Jahr erreichte in Äthiopien die Fluchtwelle ihren Höhepunkt, die durch die Machtübernahme des Militärs und Gefangennahme des Kaisers Haile Selassie 1974/75 und durch den Krieg mit Somalia um den Ogaden 1977/78 ausgelöst worden war. Zu den hohen Flüchtlingszahlen der folgenden Jahre trug auch eine Dürre und Hungerkatastrophe bei. 1991 führte der Zweite Golfkrieg zu nahezu 3 Mio. Flüchtlingen, von denen 1,4 Mio. in den Iran flohen. Die größte Gruppe waren Kurden und Schiiten, die nach dem blutig niedergeschlagenen Aufstand vor der Rache des sunnitischen Präsidenten Saddam Hussein zu entkommen versuchten. 1994 kam es in Ruanda zu einem Völkermord radikaler Hutus an den Tutsi und an gemäßigten Hutus, infolgedessen 2,3 Mio. Ruander in die benachbarten Staaten flohen. 1999 führte der Kosovo-Konflikt, der mit dem Angriff der NATO gegen Jugoslawien seinen Höhepunkt erreichte, zur Flucht von nahezu 1 Mio. Menschen aus Serbien und dem Kosovo. Seit 2011 führte der Bürgerkrieg in Syrien zu steigenden Flüchtlingszahlen, wobei 2014 mit 1,7 Mio. Flüchtlingen ein erster Höhepunkt erreicht wurde. Hinzu kam, dass aufgrund der schweren ökonomischen, politischen und humanitären Krise immer mehr Venezolaner ihr Land verließen. So kam es im Jahr 2018 mit 3,2 Mio. Flüchtlingen aus Syrien und Venezuela zu einem zweiten Höhepunkt der Flüchtlingszahlen. Von 2015 bis Ende 2020 haben 5,4 Mio. Venezolaner – mehr als 15 % der Gesamtbevölkerung – ihr Land verlassen, wobei sich die meisten Migranten in Lateinamerika und der Karibik niedergelassen haben. Es handelt sich um die größte Fluchtbewegung in der Geschichte Südamerikas. 2022 kamen dann verschiedene Flüchtlingswellen zusammen: Zum einen der Massenexodus aus Venezuela, dann die Flüchtlingswelle aufgrund der (erneuten) Machtübernahme der Taliban in Afghanistan und schließlich der Angriff Russlands auf die Ukraine. Der Ukraine-Krieg führte mit 7,9 Mio. Flüchtlingen zur größten Flüchtlingswelle seit dem Zweiten Weltkrieg.v

Ende 2022 kamen die meisten Flüchtlinge aus Syrien (19 %), aus der Ukraine (16 %) und aus Afghanistan (16 %). 51 % der Flüchtlinge kamen also aus nur drei Staaten, auf alle anderen Staaten entfielen zusammengenommen nur 49 % der Flüchtlinge.vi

Die Hauptaufnahme-Länder

Ende 2022 lebten 70 % der Flüchtlinge und anderen schutzbedürftigen Menschen in den Nachbarstaaten ihrer Herkunftsländer. 76 % lebten in Ländern mit mittlerem oder niedrigem Einkommen.

Die meisten Flüchtlinge lebten Ende 2022 weltweit in absoluten Zahlen gerechnet in der Türkei (3,6 Mio.), im Iran (3,4 Mio.), in Kolumbien (2,5 Mio.), in Deutschland (2,1 Mio.) und in Pakistan (1,7 Mio.).vii Eine andere Reihenfolge ergibt sich, wenn wir vom prozentualen Anteil der Flüchtlinge an der Gesamtbevölkerung ausgehen. Bei einer solchen Berechnung lag 2021 der Libanon mit 12,6 % an der Spitze, gefolgt von Jordanien (6,3 %), der Türkei (4,4%), Uganda (3,6 %) und dem Sudan (2,5 %). Deutschland lag mit 1,5 % an sechster Stelle.viii

Blicken wir auf die Flüchtlinge aus der Ukraine, so ergibt sich folgendes Bild: Von allen EU-Mitgliedstaaten hat Deutschland die meisten Flüchtlinge aufgenommen. Dezember 2023 waren 1,12 Mio. ukrainische Flüchtlinge in Deutschland registriert. In Polen waren es rund 950000 Flüchtlinge. Mit weitem Abstand folgen Tschechien (rund 370000 Flüchtlinge) und die anderen EU-Staaten.ix

Staatenlose

Neben den Binnenvertriebenen und Flüchtlingen gehören auch die Staatenlosen zu den Schutzbedürftigen. Im Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen von 1954 heißt es in Artikel 1 Satz 1: „«Staatenlos» im Sinne dieses Übereinkommens ist eine Person, die kein Staat auf Grund seiner Gesetzgebung als seinen Angehörigen betrachtet“. Staatenlose haben in keinem Land offiziell die Staatsbürgerschaft. Sie befinden sich praktisch im “rechtsfreien Raum” und werden nicht durch nationale Gesetze geschützt. Staatenlose haben weder Pass noch Personalausweis oder Identitätskarte und können sich folglich nicht ausweisen. Sie können also nicht reisen, erhalten keine Sozialleistungen vom Staat, haben keine Arbeitserlaubnis und dürfen auch nicht wählen gehen.

Staatenlosigkeit kann verschiedene Gründe haben: Sie kann -insbesondere Regimekritikern, Terroristen, Staatsfeinden und Vertriebenen – entzogen werden, aber auch mit dem Verlust der Identitätsnachweise aufgrund der Flucht zusammenhängen. Darüber hinaus kann auch der Zerfall oder die fehlende internationale Anerkennung des Herkunftslandes zu Staatenlosigkeit führen. Und schließlich gibt es auch Fälle, in denen sie einem Menschen erst gar nicht zuerkannt wird, und zwar wenn der Vater unbekannt ist oder wenn die Eltern staatenlos sind.

Für Ende 2021 weist die Statistik 4,3 Mio. Staatenlose aus, wobei nicht alle Staatenlosen statistisch erfasst sind.x

i Vgl. https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/fluechtlingsschutz/binnenvertriebene ; https://www.caritas-international.de/binnenvertreibung ; https://www.bmz.de/de/service/lexikon/binnenvertriebene-21850 (jeweils aufgerufen am 19.12.2023).

ii Vgl. Nora Schmidt, Extraterritoriale Asylverfahrensstandorte. Neue Wege in der Europäischen Flüchtlingspolitik (Europäische Hochschulschriften Recht 6107), Berlin 2019, 24-28; https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/fluechtlingsschutz/genfer-fluechtlingskonvention ; https://www.bmz.de/de/themen/flucht/fachbegriffe#lexicon=21854 (jeweils aufgerufen am 19.12.2023).

iii Vgl. Katharina Inhetveen, Die politische Ordnung des Flüchtlingslagers: Akteure – Macht – Organisation. Eine Ethnographie im Südlichen Afrika, Bielefeld 2010, 83-84. Die deutsche Übersetzung der OAU-Konvention ist https://www.humanrights.ch/cms/upload/pdf/070629_OAU_Flchtlingskonvention.pdf (aufgerufen am 17.01.2024) entnommen.

iv Vgl. https://www.unhcr.org/about-unhcr/who-we-are/figures-glance (aufgerufen am 25.08.2024).

v Vgl. https://www.unhcr.org/global-trends; https://www.migrationpolicy.org/article/ethiopia-origin-refugees-evolving-migration ; https://www.migrationpolicy.org/sites/default/files/publications/MPIPolicyBriefIraq.pdf ; https://www.genocide-alert.de/projekte/20-jahre-nach-dem-genozid-in-ruanda/hintergrund ; https://www.bpb.de/themen/kriege-konflikte/dossier-kriege-konflikte/54633/kosovo/ ; https://www.dw.com/de/ukraine-aktuell-gr%C3%B6%C3%9Fte-fluchtbewegung-seit-zweitem-weltkrieg/a-64315886 (jeweils aufgerufen am 19.12.2023).

vi Vgl. https://www.unhcr.org/about-unhcr/who-we-are/figures-glance (aufgerufen am 19.12.2023).

vii Vgl. https://www.unhcr.org/about-unhcr/who-we-are/figures-glance (aufgerufen am 19.12.2023).

viii Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1369103/umfrage/anteil-von-fluechtlingen-an-der-bevoelkerung/ (aufgerufen am 19.12.2023).

ix Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1356654/umfrage/anzahl-ukrainischer-fluechtlinge-in-den-eu-staaten/ (aufgerufen am 19.12.2023)..

x Mehr zur Staatenlosigkeit siehe https://praxistipps.focus.de/wie-wird-man-staatenlos-einfach-erklaert_96383 ; https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/fluechtlingsschutz/staatenlose ; https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1135087/umfrage/fluechtlinge-asylsuchende-binnenfluechtlinge-und-staatenlose/ (jeweils aufgerufen am 13.02.2024); Wissenschaftliche Dienste, Sachstand, Fragen zur Ausbürgerung in ausgewählten Staaten, WD 3 – 3000 – 290/19.