Hinsichtlich der Frage, ob es bei der Aufnahme von Flüchtlingen (allgemeiner auch von Migranten) eine Obergrenze geben solle, spielt die Integrationsfähigkeit eine große Rolle. Der Grundgedanke der Befürworter ist, dass man nicht ohne Ende Flüchtlinge (bzw. Migranten) in die Gesellschaft eines Landes integrieren könne. Die Integrationsfähigkeit eines Landes sei begrenzt, weshalb auch die Zahl der Flüchtlinge, die aufgenommen wird, begrenzt werden müsse.
Nun stellt sich aber die Frage, was überhaupt unter „Integration“ zu verstehen ist. Im alltäglichen, nicht weiter reflektierten Sprachgebrauch bedeutet Integration, dass sich ein nicht zum Wir-Kollektiv, dem Ganzen, zugehöriger „Anderer“ dem Wir-Kollektiv einordnet und ihm dann zugehört. Diesem Sprachgebrauch liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Gesellschaft eines Landes – konkret Deutschlands – ein einheitliches Wir-Kollektiv darstellt. Tatsächlich ist das Wir-Kollektiv keineswegs so einheitlich, wie vorausgesetzt, sondern besteht in der Realität aus verschiedenen Gruppen. Alle diese Gruppen bilden in gewisser Weise jeweils für sich ein „Wir“. Entscheidend hinsichtlich der Integration ist, dass diese Gruppen sich nicht gegenseitig voneinander abgrenzen, sondern sich überlappen und für andere Menschen offen sind.
Definition von „Integration“
Ganz allgemein bedeutet „Integration“ eine möglichst reibungslose Einfügung in ein Ganzes. Damit dies möglich ist, muss entweder das Einzufügende dem Ganzen angepasst werden, oder das Ganze sich so ändern, dass das Einzufügende unverändert hineinpasst. Mischformen der beiden Einfügungsarten sind möglich und wahrscheinlich. Da das Ganze mächtiger ist als das Einzufügende, wird üblicherweise erwartet, dass sich das Einzufügende sehr viel stärker fügen muss als das Ganze.i
Wenn Ausländer in eine Gesellschaft kommen, die von einer anderen Kultur geprägt ist, dann können sie sich in ihr verschieden verhalten. Zwei Entscheidungen stehen an, nämlich erstens, ob sie ihre eigene Kultur behalten wollen/sollen oder nicht, und zweitens, ob irgendeine Form des Kontakts zwischen ihnen und der einheimischen Bevölkerung bestehen soll oder nicht. Die Ausländer können ihre eigene Kultur bewahren, dabei aber Kontakt zur einheimischen Bevölkerung pflegen. Das nennt man dann „Integration“. Sie können aber auch ihre eigene Kultur wahren, sich aber von der einheimischen Bevölkerung absondern. Das nennt man dann „Segregation“. Wenn sie ihre eigene Kultur aufgeben und dabei Kontakt zur einheimischen Bevölkerung suchen, nennt man das „Assimilation“. Und wenn sie ihre eigene Kultur aufgeben, dabei aber keinen Kontakt zur einheimischen Bevölkerung haben, nennt man das „Marginalisierung“ oder „Exklusion“.ii
Uneinheitlichkeit von Gesellschaften
Gesellschaften sind nie einheitlich, sondern stets uneinheitlich. Sie bestehen aus verschiedenen Geschlechtern, Religionsgemeinschaften, Nationalitäten usw., die jeweils eigene Identitäten darstellen. Streng genommen hat jedes Individuum seine eigene Identität. Wenn es sich einer Gruppe anschließt, dann derjenigen, die der eigenen Identität entspricht. Einer Frau stehen zunächst andere Frauen nahe, eine gläubige Katholikin der römisch-katholischen Kirche bzw. den Katholiken und eine Syrerin den Syrern. Wenn also von einer „Identität“ gesprochen wird, müssen viele verschiedene Aspekte beachtet werden. „Die Frau“ gibt es genauso wenig wie „den Mann“. Es gibt nicht „die Christin“, „die Katholikin“ oder „die Muslimin“ oder „die Sunnitin“ und es gibt auch nicht „die Deutsche“ oder „die Syrerin“. Selbst wenn es „die Christin“, „die Katholikin“, „die Muslimin“,„die Sunnitin“, „die Deutsche“ und „die Syrerin“ gäbe, wären sie in ihrer Identität nicht einheitlich, weil jedes Individuum eine eigene Herkunft, einen eigenen Werdegang und eigene Lebenserfahrungen hat.
Nun ist eine Gesellschaft genauso wenig eine Ansammlung von Individuen, wie sie ein einheitliches „Wir“ darstellt, das es von „den Anderen“ abzugrenzen gilt. Wenn es aber ein „Wir“ gibt, die Gesellschaft Deutschlands aber uneinheitlich ist, dann stellt sich die Frage, welches „Wir“ wir anstreben, in das sich Ausländer integrieren sollen. Bei der Antwort auf diese Frage kommt den Gruppenmitgliedschaften eine herausragende Rolle zu. Gruppenmitgliedschaften sind in der Lage, Menschen ein Gemeinschaftsgefühl zu vermitteln. Sobald Bindungen entstehen sollen, die über Nahbeziehungen und persönlichen Kontakt hinausgehen, sind Gruppenmitgliedschaften unvermeidlich. Bestimmte Gruppen wie (Geschlecht, Ethnien, Religionsgemeinschaften) sind fähig, ihren Mitgliedern Lebensentwürfe zu präsentieren, die als sinnvoll und erstrebenswert erachtet werden. Sie bieten den Menschen in einer komplexen Welt Normen, Werte und Traditionen. Manche Gruppen zeichnet aus, dass sie in der Lage sind, das Leben ihrer Mitglieder tiefgreifend zu beeinflussend. Es handelt sich dabei also um identitätsprägende Gruppen. In einem „Wir“ erleben Menschen Geborgenheit, Zusammenhalt, gegenseitige Unterstützung und diese unabhängig von der Art des Zusammenschlusses. Der einzelne Mensch fühlt sich im „Wir“ anerkannt. Für das Wesen einer Gesellschaft ist entscheidend, ob sich die Gruppen abschließen, nebeneinander her existieren und sich bestenfalls akzeptieren, oder ob sie sich überlappen, offen sind und Menschen, die von außen kommen, integrieren. In der Integrationsdebatte sollten Menschen als miteinander verbundene, vielschichtige und facettenreiche Subjekte wahrgenommen werden, die ihre Identität auf eine Vielzahl von Gruppenzugehörigkeiten stützen und damit in vielfältigen „Wir“-Bezügen verortet sind.iii
Integration oder fehlende Integration betrifft keineswegs nur Zuwanderer, sondern auch Einheimische. So erklärt sich auch das Bestreben, Integrationskonzepte nicht nur auf Flüchtlinge bzw. Zuwanderer auszurichten, sondern auf alle Menschen mit eingeschränktem Zugang etwa zu Bildung, zum Wohnungs- und Arbeitsmarkt oder zur Gesundheitsversorgung. Damit sollen auch Neiddebatten angesichts (angeblicher) Besserstellung von Flüchtlingen bzw. Zuwanderern eingedämmt werden.iv
Hier soll es jedoch nur um die Streitfrage „Obergrenze für Flüchtlinge?“ gehen und der Blick daher auf Zuwanderer, speziell Flüchtlinge, begrenzt bleiben. Dabei stellen sich im Wesentlichen zwei Fragen: „Worein“ wird integriert? Wie wird integriert?
Die Grundrechte und das Grundgesetz als Grundlage der Integration
Die oberflächliche Antwort, „worein“ integriert wird, lautet: in die deutsche Gesellschaft. Allerdings ist die deutsche Gesellschaft wie diejenige aller anderen Staaten uneinheitlich. Das Geschlecht der Einwohner ist uneinheitlich, weshalb wir nicht verlangen können, dass anerkannte Flüchtlinge Frauen oder Männer oder divers sein müssen. In Deutschland gibt es auch keine Religion oder Konfession, der die Einwohner angehören müssen. Stattdessen ist im Grundgesetz (Art. 4 Abs. 1) die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses festgeschrieben. Folglich können wir nicht verlangen, dass anerkannte Flüchtlinge einer bestimmten Religion oder Konfession angehören müssen. Wir können also beispielsweise nicht verlangen, dass sie Christen sein müssen oder römisch-katholisch. Ebenso können wir nicht verlangen, dass sie keine Muslime sein dürfen. Und schließlich können wir auch nicht verlangen, dass sich anerkannte Flüchtlinge zur deutschen Kultur bekennen müssen. Erstens ist Deutschland ein multikulturelles Land, also ein Land, in dem Menschen verschiedener Kulturen zusammen leben. Zweitens ist überhaupt nicht klar, was deutsche Kultur überhaupt sein soll. Sollen nur deutsche Komponisten für Chöre und Orchester zulässig sein? Sollen alle Einwohner Deutschlands klassische Literatur von berühmten deutschen Schriftstellern wie Goethe oder Lessing kennen oder gar in Teilen auswendig können? Sollen deutsche Tänze getanzt werden, aber keine ausländischen wie beispielsweise der Wiener Walzer oder der Tango? Ist Eisbein mit Sauerkraut eine deutschere Speise als der Döner? Das, was unter „Deutschland“ und „deutsch“ zu verstehen ist, ist in der Geschichte einem steten Wandel unterworfen gewesen. Und eine enge Deutung von „Deutschland“ und „deutsch“ als Maßstab für die Integration zu nehmen, würde bedeuten, dass die Kultur verarmen würde, weil Vieles, was uns heute vertraut erscheint, seine Wurzeln im Ausland hat.
Wenn weder Geschlecht noch Religion noch Kultur Grundlage der Integration sein kann, gibt es dann überhaupt etwas, worauf anerkannte Flüchtlinge verpflichtet werden können? Was hält die deutsche Gesellschaft, in die ja die anerkannten Flüchtlinge und andere Zuwanderer integriert werden sollen, zusammen? Die Grundlage des Zusammenlebens ist in Deutschland rechtlicher Art. Alle Menschen, die in Deutschland leben, sind den Gesetzen unterworfen. Anerkannte Flüchtlinge müssen also die Gesetze beachten. Nun sind aber sicher keine speziellen Gesetze als Grundlage der Integration anzusehen, sondern nur das Grundgesetz. Das Grundgesetz ist die entscheidende rechtliche Grundlage der Bundesrepublik Deutschland. Jeder Einwohner Deutschlands muss also an erster Stelle das Grundgesetz einhalten. Das ist also auch von den Flüchtlingen zu verlangen, die hier (vorübergehend) Aufnahme finden.
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland enthält Grundrechte. Von den Grundrechten handeln die Art. 1 – 19 GG. Die Grundrechte sind keine rein nationale Angelegenheit, sondern auch in internationalen Abkommen festgeschrieben. Betrachten wir als Beispiel Art. 1 Abs. 1 GG, wo unmissverständlich festgestellt wird: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Dieser Grundsatz ist auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen festgelegt, womit er für alle Mitglieder der Vereinten Nationen verbindlich ist. Folglich gilt der Grundsatz nahezu weltweit und für alle in Deutschland lebenden Menschen, unabhängig von Geschlecht, ethnischer Herkunft, Alter, sexueller Orientierung, Religionszugehörigkeit, ob mit oder ohne Behinderung und auch unabhängig davon, ob sie hier geboren oder aus unterschiedlichen Gründen eingewandert sind. Das Bestreben, die Menschen vor staatlicher Willkür zu schützen und den Schutz der Menschenwürde zu sichern, liegt dem gesamten Grundrechtskatalog des Grundgesetzes zugrunde. Insofern darf kein Mensch, der in Deutschland lebt, einen anderen Menschen aus irgendeinem Grund benachteiligen, zu einer bestimmten Religion oder Konfession zwingen oder auf andere Weise gegen Grundrechte verstoßen. Integration und eine fundamentalistische oder extremistische Gesinnung schließen also einander aus.v
Kenntnisse der deutschen Sprache als Voraussetzung für Integration
Ausreichende deutsche Sprachkenntnisse sind eine wesentliche Voraussetzung der Integration. Sie erleichtern in vielfacher Hinsicht die Bewältigung von Alltagsaufgaben sowie die Verständigung mit den Mitmenschen vor Ort und mit Ansprechpersonen aus Behörden und aus Hilfs- und Beratungsinstitutionen. In Familien können sich Deutschkenntnisse der Eltern zudem positiv auf die Bildungschancen der Kinder auswirken. Sie erhöhen schließlich auch die Chance, auf dem Arbeitsmarkt eine Stelle zu finden.vi
Deutsche Sprachkenntnisse sind auch nötig, um das Grundgesetz und die Grundrechte zu verstehen und einzuhalten. Fehlende deutsche Sprachkenntnisse führen nicht nur zu Rechtsverstößen aufgrund von Unwissenheit, sondern begünstigen auch Ordnungswidrigkeiten und Verbrechen. So kann es eine Masche sein, sich dumm zu stellen und Deutschkenntnisse zu leugnen, um beispielsweise einer Strafe für das Schwarzfahren im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu umgehen. Oder es können im Schutze der fremden Sprache illegale Aktivitäten geplant und durchgeführt werden, wohl wissend, dass sie seitens der meisten Polizei-und Justizbeamten nicht verstanden wird.
Sprache ist aber nicht nur Kommunikationsmittel, sie ist zugleich Kulturgut, das in Dichtung und Literatur seinen Ausdruck findet und den Zugang zu Kultur und Gesellschaft ermöglicht. Sprache zu vermitteln und zu fördern, ist eine zentrale Aufgabe des Bildungssystems, unterstützt durch die Sprachkultur in Gesellschaft und Öffentlichkeit.vii
Zu bedenken ist jedoch, dass traumatisierte Geflüchtete in der Regel erst dann in der Lage sind, die deutsche Sprache zu erlernen und sich auf Schule oder Arbeit zu konzentrieren, wenn sie ein Gefühl der Sicherheit erlangt haben und nicht mit der Abschiebung rechnen müssen. Gleiches gilt auch für die Arbeit.viii
Integrationskurse
Der Integrationskurs ist ein staatliches Grundangebot der sprachlichen und politischen Bildung für Zugewanderte und steht am Beginn des gesamten Integrationsprozesses. Er dient dazu, die Zugewanderten dazu zu befähigen, ohne die Hilfe oder Vermittlung Dritter in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens selbstständig zu handeln.
Weil die Bedürfnisse individuell verschieden sind, werden verschiedene Kurse angeboten: Meist wird der allgemeine Integrationskurs besucht. Daneben gibt es Kurse für spezielle Zielgruppen (Jugend-, Frauen-, Eltern-, Alphabetisierungs-, Zweitschriftlerner- und Förderkurse) und den Intensivkurs. Die Integrationskurse werden nach bundesweit einheitlichen Standards und auf der Grundlage des Zuwanderungsgesetzes durchgeführt. Für die Durchführung zuständig ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
Der allgemeine Integrationskurs besteht aus einem Sprachkurs, der die Mehrzahl der Unterrichtsstunden ausmacht, und aus einem Orientierungskurs. Im Sprachkurs werden die nötigen Deutschkenntnisse vermittelt, und zwar anhand der Themen Einkaufen, Wohnen, Gesundheit, Betreuung und Erziehung von Kindern, Mobilität, Mediennutzung sowie Arbeit und Ausbildung. Im Sprachkurs werden den Teilnehmern Kenntnisse über Rechtsordnung, Kultur und Geschichte in Deutschland vermittelt. Ziel des Orientierungskurses ist es, die Zugewanderten mit den gesellschaftlichen Werten in Deutschland vertraut zu machen und so zu einem konstruktiven und gedeihlichen Miteinander beizutragen. Themen im Orientierungskurs sind dabei u. a. die wichtigsten Verfassungsprinzipien, die jüngere deutsche Geschichte, religiöse Vielfalt und die Gleichberechtigung von Mann und Frau.ix
Politische Bildung und Partizipation
Politische Partizipation umfasst alle Tätigkeiten, die Bürger freiwillig mit dem Ziel unternehmen, Entscheidungen auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems zu beeinflussen. Dies kann mittels Wahlen und Abstimmungen, Parteimitgliedschaft und Mitgliedschaft in Verbänden und Interessenorganisationen sowie Beteiligung an Petitionen und Demonstrationen geschehen. Allgemein ist die politische Partizipation, vor allem die Wahlteilnahme und die Partei- und Interessengruppenmitgliedschaft, von Migranten deutlich niedriger als im Durchschnitt der Bevölkerung, auch wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Das verwundert nicht, denn politische Partizipation setzt Identifizierung mit dem Gemeinwesen voraus. Auch geschieht Partizipation meist nicht als Selbstzweck, sondern es müssen fundamentale Interessen berührt sein, um Menschen zur Partizipation zu bewegen. Flüchtlinge – auch wenn sie anerkannt sind – identifizieren sich nicht unbedingt mit dem deutschen Staatswesen. Sie können auch oder ausschließlich ihrem Heimatland (oder einem anderen Land) verbunden sein. Es ist nicht gesagt, dass sie dauerhaft in Deutschland bleiben wollen. Insofern müssen die fundamentalen Interessen nicht in einem Bezug zu Deutschland stehen.
Nun stellt sich die Frage, ob es überhaupt zu erwarten und notwendig ist, dass Flüchtlinge in Deutschland politisch partizipieren. Dafür wäre notwendig, dass sie sich mit dem deutschen Gemeinwesen identifizieren und hier fundamentale Interessen berührt sehen. Das ist am ehesten von Flüchtlingen zu erwarten, die die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen. Prädestiniert sind Flüchtlinge für politische Partizipation im transnationalen =staatenübergreifenden) Raum. Sie können sich zwei Ländern zugehörig fühlen, zu beiden Ländern verschiedenartige Kontakte pflegen und diese im transnationalen wirtschaftlichen, kulturellen oder politischen Bereich einbringen. Familiäre Beziehungen in die Heimat können über Generationen bestehen bleiben. Sie können dazu führen, dass sich Flüchtlinge nicht wirklich mit dem Aufnahmeland identifizieren und sich auch nicht auf die dortige Gesellschaft einlassen, vielmehr Parallelgesellschaften bilden. Angesichts der positiven Aspekte des Transnationalismus – man denke auch an die Rücküberweisungen in die Heimat, deren Summen diejenige der Entwicklungshilfe übersteigen können – sollte diese Gefahr jedoch nicht zu einem pauschal negativen Urteil des Transnationalismus führen.x
In Deutschland eingebürgerte Migranten bzw. Flüchtlinge können zur Wahrung eigener Interessen Parteien gründen. Zu diesen Parteien gehören beispielsweise das Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit (BIG) und die Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch (DAVA). Gegen solche Parteien ist im Grunde nichts einzuwenden, jedoch können sie als Einfallstor ausländischer Parteien nach Deutschland oder in die EU dienen. So wird DAVA verdächtigt, der politische Arm des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seiner Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) zu sein, mithilfe dessen er in Deutschland und der EU seine Interessen durchzusetzen versucht. Solche Einflussnahme gilt es zu unterbinden, sei es über das Parteienrecht oder über das Einbürgerungsrecht.
Integration durch Arbeit
Regelungen zur Arbeitserlaubnis von Geflüchteten finden sich in § 61 AsylG (= Asylgesetz). Ab wann Asylbewerber einen Arbeitsmarktzugang haben, hängt davon ab, ob sie in einer Aufnahmeeinrichtung wohnen müssen oder nicht. In ersterem Fall haben sie nach sechs Monaten Zugang zum Arbeitsmarkt, in letzterem nach drei Monaten. Das gilt auch für Geduldete, es sei denn, es stehen Maßnahmen zur Beendigung des Aufenthalts bevor. Im Januar 2025 stellte der Bundesrat den Antrag, den § 61 AsylG dahingehend zu ändern, dass Asylbewerbern grundsätzlich bereits nach drei Monaten Zugang zum regulären Arbeitsmarkt eröffnet wird, unabhängig davon, ob sie dazu verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen oder ob sie bereits in einer Anschlussunterbringung untergebracht sind. Auf diese Weise werde nicht nur der gesellschaftlichen Erwartungshaltung einer stärkeren Heranziehung von Asylbewerbern zur Arbeit und der Bereitschaft vieler Asylbewerber, eine Arbeit aufzunehmen, Rechnung getragen, sondern vor allem würden die Sozialsysteme entlastet.xi
Als Argument für einen frühzeitigen Zugang zum Arbeitsmarkt ist außerdem zu nennen, dass ein großer Teil der Integration am Arbeitsplatz stattfindet. Geflüchteten wird am Arbeitsplatz Kommunikation ermöglicht, so dass sie ihre deutschen Sprachkenntnisse nutzen und weiter ausbauen können. Auch erhalten sie über den Kontakt zu Kollegen und/oder Kunden das Gefühl, einen Platz in der Gesellschaft zu haben. Und schließlich begründet Arbeit Selbstbewusstsein und Identifikation mit dem aus eigener Kraft Geleisteten und gibt dem Alltag Struktur.
Schlechte, prekäre Arbeit ist allerdings kein Faktor der Integration, sondern das genaue Gegenteil. Sie reduziert Menschen auf ihre Funktion als Arbeitskraft, verwehrt ihnen gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe und legt sie auf einen niederen und wenig angesehenen Platz in der Gesellschaft fest. Es sind also Arbeitsverhältnisse zu schaffen, die „Integration auf Augenhöhe“ ermöglichen. Insofern ist es sinnvoll, Flüchtlinge erst mittels Sprach- und Integrationskursen auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten und sie nicht schnellstmöglich in Helferjobs zu vermitteln.xii
Sofern Migranten nicht als Fachkräfte angeworben wurden, arbeiten sie nur selten von Anfang an qualifizierte Arbeitskräfte. Migranten sind in vielen Ländern zunächst seltener erwerbstätig als die in den Zielländern geborene Bevölkerung, holen dann aber im Zeitverlauf auf. Auch verdienen sie oft zu Beginn der Erwerbstätigkeit weniger. Dafür gibt es verschiedene Gründe, die bei Flüchtlingen besonders stark ausgeprägt sind. Wer flieht, ist in der Regel nicht auf die Flucht vorbereitet und hat sich im Zielland noch um keine Arbeitsstelle und auch um keinen Studien- oder Ausbildungsplatz kümmern können. Oft sind keine oder nur geringe Kenntnisse der Landessprache vorhanden und ihre Bildung und Ausbildung entsprechen häufig nicht den Anforderungen der Arbeitsmärkte in den Zielländern. Studienabschlüsse und Berufsausbildungen lassen sich oft auf dem Arbeitsmarkt nicht verwerten oder werden nicht anerkannt. Es bedarf also ausreichender Möglichkeiten einer ergänzenden Qualifizierung oder des Erwerbs einer Berufsanerkennung.
Ein ganz eigenes Problem stellen die langen Anerkennungsverfahren der Asylsuchenden dar. Wer noch keinen positiven Anerkennungsbescheid erhalten hat, kann auf dem Arbeitsmarkt nicht nachhaltig integriert werden. Einschränkungen hinsichtlich der Aufnahme einer Beschäftigung und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Geflüchteten durch die Wohnsitzauflage führen dazu, dass Geflüchtete nur in begrenztem Maße eine Arbeit suchen und aufnehmen können. Zudem scheuen sich Arbeitgeber, Geflüchtete einzustellen, die nur über eine kurze Aufenthaltserlaubnis verfügen und/oder über keine ausreichenden Deutschkenntnisse verfügen. Dabei stellt sich die Frage, ob ausreichende Deutschkenntnisse vorauszusetzen sind, oder ob für bestimmte Tätigkeiten nur ausreichende Englischkenntnisse verlangt werden könnten, in der Erwartung, dass die nötigen Deutschkenntnisse nachträglich erworben werden.
Mit zunehmender Aufenthaltsdauer verbessert sich die berufliche Lage der Geflüchteten. Dies hat zunächst einmal mit einem verbesserten und stärker an den deutschen Arbeitsmarkt angepassten Bildungsniveau zu tun. Innerhalb der ersten sechs Jahre nach Zuzug besuchte ein Drittel der erwachsenen Geflüchteten Schulen und Hochschulen oder absolvierte Ausbildungen und Weiterbildungsmaßnahmen. Infolgedessen sind (Stand 2023) 54 % der Geflüchteten mit einer Aufenthaltsdauer von sechs Jahren erwerbstätig. Davon arbeiten zwei Drittel in Vollzeit und 70 % üben eine qualifizierte Berufstätigkeit aus. Vollerwerbstätige verdienen bei einer sechsjährigen Aufenthaltsdauer monatlich durchschnittlich gut 2000 Euro brutto.
Bezüglich der Erwerbstätigkeit herrscht ein erhebliches Gefälle zwischen den Geschlechtern: So waren bei einer Aufenthaltsdauer von sechs Jahren zwar 67 % der Männer erwerbstätig, aber nur 23 % der Frauen. Das Gefälle lässt sich im Wesentlichen durch Sorgearbeit und insbesondere durch das Vorhandensein von Kindern unter drei Jahren im Haushalt erklären. Die Sorge- und Erziehungsarbeit obliegt bei den Geflüchteten in hohem Maße den Frauen, was auch mit einem traditionellen Rollenverständnis bei Geflüchteten zusammenhängen dürfte. So waren Frauen bereits in ihren Herkunftsländern im Durchschnitt seltener erwerbstätig als Männer und wenn, dann häufiger in Berufen, deren Zugang in Deutschland stark reglementiert ist (beispielsweise im Erziehungssektor). Dadurch können sie ihre mitgebrachten Fähigkeiten und Qualifikationen schwerer auf dem deutschen Arbeitsmarkt verwerten. Hinzu kommen – im Vergleich zu Männern – geringere Sprach- und Bildungsinvestitionen in Deutschland sowie eine schwächere Nutzung von Beratungsangeboten. Dabei besitzen geflüchtete Frauen oftmals eine hohe Motivation, in der Berufswelt Fuß fassen zu wollen. Und wenn sie einmal den Einstieg geschafft haben, sind sie die engagiertesten Botschafterinnen für Bildung und Qualifizierung für ihre Kinder, Familien und weitere geflüchtete Frauen.xiii
Integration durch Kultur
Es stellt für eine Gesellschaft stets eine Herausforderung dar, Menschen aus anderen Kulturen zu integrieren. Menschen aus fremden Kulturen können Faszination hervorrufen, aber auch Ablehnung. Grundsätzlich ist die Integration von Menschen aus fremden Kulturen schwieriger als die Integration von Menschen, deren Kultur Ähnlichkeit mit der deutschen aufweist.
Es ist wichtig, andere Kulturen zu verstehen. Das gilt für Flüchtlinge und Einheimische gleichermaßen. Das Verstehen kann auf intellektuellem Wege erfolgen, durch Aneignung von Kenntnissen. Es kann aber auch intuitiv erfolgen, das heißt mit einem umfassenden Bewusstsein. Und dieses will entwickelt werden.
Die Musik ist ein sehr schönes Mittel, sich mit den Verschiedenheiten der jeweiligen Kulturen vertraut zu machen, spiegelt sie doch auf eine wunderbare Art wieder, welche Lebens- oder Bewusstseinsaspekte für welche Kulturen wichtig sind. Es ist zudem einfacher, sich in Musik hineinzuversetzen als in die Komplexität eines Menschen. Die Musik als „universelle Sprache“ zu bezeichnen, ist aber dennoch zu weit gegriffen. Erstens ist Musik keine Sprache im eigentlichen Sinn, denn sie verbindet – abgesehen vom Text – keine Laute und Schriftzeichen zu Wörtern und zu Sätzen. Und den Text in einer uns fremden Sprache können wir nicht verstehen. Zweitens ist sie nicht im strengen Sinne universell, weil wir sie nicht ohne Weiteres erfassen können. Es gibt viele verschiedene Musikrichtungen und Ausdrucksweisen, außerdem wird Musik verschieden wahrgenommen. Selbst wenn wir sie eingängig finden und sie uns berührt, deuten und empfinden wir sie nicht unbedingt wie die Musiker. Drittens ist Musik nicht unbedingt integrativ. Wir können also nicht sagen, dass Hörende und Musizierende oder in einer Gruppe Musizierende durch Musik „eins“ werden. Unterschiedliche Musikstile können als soziale und kulturelle Unterscheidungsmerkmale unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen und Schichten dienen. Sehr deutlich sehen wir das beispielsweise bei der Punk-Musik, die Ausdruck der Abgrenzung von bürgerlichem Denken und Lebensstil ist. Musik ist also keine universelle Sprache, aber eine universelle Möglichkeit, Kulturen tiefer zu begreifen.xiv
All dies legt nahe, nicht sogleich an „Integration durch Musik“ zu denken, sondern zunächst einmal an interkulturellen Dialog durch Musik. Dialog geht von Verschiedenheit aus und meint ganz allgemein die Unterredung bzw. das Gespräch von zwei verschiedenen Personen oder Gruppen, mit dem Ziel die jeweiligen Standpunkte kennenzulernen. Der interkulturelle Dialog dient dem besseren Verständnis der Kulturen untereinander. Dialog bedeutet aber noch lange nicht, dass sich die verschiedenen Menschen, Gruppen oder Kulturen auch wirklich näher kommen und miteinander Kontakt pflegen. Hinsichtlich Flüchtlingen können wir also nicht sagen, dass interkultureller Dialog automatisch zur Integration führt. Integration hat mehr mit Kontakt, Zugang, Teilhabe und Anpassung zu tun als Dialog.
Wenn wir von „Integration durch Musik“ reden, dann müssen wir uns über die Ziele klar werden. Soll Nachwuchsförderung betrieben werden? Oder sollen die Inhalte und Traditionen der Musik hierzulande vermittelt werden? Oder soll Abschottungstendenzen mancher Bevölkerungsteile entgegnet werden? Sollen in die deutsche Musikkultur fremde Musikkulturen einfließen? Sollen alle Menschen in Deutschland die Möglichkeit haben, am Musikleben teilzuhaben? Weder kann Integration durch Musik die reine Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft noch die reine Hinzufügung („Extrabehandlung“) fremder Kulturen zum eigenen kulturellen Kanon bedeuten. Vielmehr sollte von Themen oder Projekten her gedacht werden, in die alle Beteiligten ihre Fähigkeiten, Vorlieben oder auch Betroffenheiten einbringen können – sofern sie wollen. Themen wie „Heimat“, „Begegnungen“, „Liebe“ oder „Natur“ betreffen Einheimische und Zugewanderte gleichermaßen.xv
Auch Theaterprojekte können Einheimische und Zugewanderte zusammenbringen. Sie üben zusammen ein Theaterstück ein und führen das dann vor Publikum auf. Wichtig ist allerdings, dass Zuwanderern und speziell Geflüchteten auf Augenhöhe begegnet wird. Es bedarf der Theaterstücke, die ihre Geschichten und Erfahrungen zur Sprache bringen. Dabei sollten die Zuwanderer bzw. Geflüchteten nicht als die Anderen erscheinen, weil dies ausgrenzenden Charakter hätte. Wie bei der Musik und auch anderen kulturellen Ausdrucksformen dient es der Integration und dem Miteinander, Themen einzubringen, die alle gleichermaßen betreffen.xvi
Und schließlich bieten auch Malerei, Bildhauerei, Fotografie und Film vielfältige Möglichkeiten, Fluchterfahrungen zu verarbeiten und auszudrücken, mit Menschen ins Gespräch zu kommen und den Austausch zu fördern.
Künstlerische Betätigung hat eine positive Wirkung auf den Menschen, seine Entwicklung und seine Umwelt. Kunst fördert das Wohlbefinden, die Gesundheit und hat einen positiven Einfluss auf das Zusammenleben. Insbesondere für Geflüchtete, die sich in Prozessen des Loslassens, Ankommens und der Integration befinden, hat Kunst die Möglichkeit, Halt zu bieten.xvii
Die Projekte zur Integration durch Kultur tragen sich meist nicht selbst, sondern bedürfen der Fördergelder seitens des Bundes, der Länder und der Kommunen. Sofern es sich nicht um zeitlich eng begrenzte Projekte handelt, sollte die Förderung langfristig angelegt sein. Dabei ist auch an innovative Förderungskonzepte zwischen Projekt- und Strukturförderung zu denken. Dabei ist es auch wichtig, mittels empirischer und begleitender Forschung das Wissen über die Wirkung der verschiedenen Projekte zu vergrößern.xviii
Integration durch Sport
Sport – insbesondere der Mannschaftssport – ist eine hervorragende Möglichkeit, Zuwanderer bzw. Geflüchtete zu integrieren. Das gemeinsame Treiben von Sport hat eine besondere emotionale Kraft. Es kann ein Gemeinschaftsgefühl entstehen, ohne dass – und darin kommt das Besondere zum Ausdruck – ein sprachliches Verständnis zwingend vorausgesetzt wäre.
Gemeinsame sportliche Aktivität findet in erster Linie in den Sportvereinen statt. Den Weg in den Verein finden Flüchtlinge allerdings selten allein. Das völlig neue Wohnumfeld, geringe Erfahrungen mit dem organisierten Sport oder fehlende Beförderungsmöglichkeiten und Sprachkenntnisse stellen Hindernisse dar. Daher ist es nötig, dass Vereine auf Flüchtlinge, speziell auch auf die Asylsuchenden in den Gemeinschaftsunterkünften, zugehen und sie persönlich ansprechen und/oder (mehrsprachige) Faltblätter auslegen oder Plakate aufhängen.
Flüchtlinge befinden sich in einer unsicheren Lebenssituation. Viele wissen noch nicht,
ob und wie lange sie bleiben dürfen. Aufgrund der häufigen Wechsel unter den Teilnehmern und der sportlichen Ansprüchen der regulären Vereinsmannschaften sind viele Vereinsangebote für Flüchtlinge zu Beginn noch unpassend. Offene Trainingsgruppen oder Freizeitteams bieten einen guten Einstieg und erlauben einen späteren Übergang in den regulären Spielbetrieb. Eine offene Trainingsgruppe zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass neue Spieler unabhängig von Leistungsniveau und Vereinsmitgliedschaft jederzeit einsteigen können. In der Trainingsgruppe sollte das Training in erster Linie Spaß machen und Abwechslung schaffen, die sportliche Leistung ist Nebensache. Durch gemeinsamen Sport werden nicht nur die sportlichen Fähigkeiten gefördert, sondern auch persönliche Fähigkeiten wie Respekt, Toleranz, Disziplin, Mitgefühl, Fair Play und Selbstvertrauen.
Die Integration im Rahmen des Vereins ist nicht nur auf Training, Wettkämpfe und Turniere begrenzt. Auch beim geselligen Beisammensein im Rahmen von sonstigen geselligen Aktivitäten der Vereine können Begegnungen geschaffen und Brücken in den Verein geschlagen werden. In der Kommunikation mit Flüchtlingen sind gegenseitiger Respekt und Augenhöhe wichtig. Der gemeinsame Spaß ist der Schlüssel zum Erfolg.xix
Allerdings sind auch bei der Integration im Vereinssport einige Herausforderungen zu meistern: Es kann Verständnisschwierigkeiten geben und es sind Fragen bezüglich Versicherungsschutz, Spielerpässen und Asylrecht zu klären. Auch kann es aufgrund von Mentalitätsunterschieden, persönlichen Eigenheiten, Traumata und/oder nationalen Empfindungen zu Konflikten kommen. In solchen Fällen ist interkulturelle Kompetenz hilfreich, also die Fähigkeit, mit Menschen anderer Kulturkreise sicher und erfolgreich umgehen zu können.xx
Das Bundesprogramm „Integration durch Sport“ (IdS) versorgt Sportvereine und -verbände mit vielem, was sie für die integrative Arbeit benötigen: Die 16 Programmleitungen in den Landessportbünden und – jugenden beraten und begleiten Vereine und Verbände, bieten interkulturelle Qualifizierungen an und unterstützen sie mit einer angemessenen Finanzierung.xxi
Im Hinblick auf die Streitfrage „Obergrenze für Flüchtlinge?“ sind der Gesellschaft samt den Vereinen Grenzen aufgezeigt worden, als am Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 Turnhallen in Notunterkünfte für Flüchtlinge umfunktioniert wurden. Nicht nur, dass damit sportliche Betätigungen erheblich eingeschränkt wurden, auch die Akzeptanz der Flüchtlinge war gefährdet. Hier zeigt sich, dass nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufgenommen werden können, auch wenn dies noch nicht heißt, dass eine starre Obergrenze bezüglich der Zahl Flüchtlinge eingeführt werden muss.
Sozialräumliche Integration
Flüchtlinge können nicht ewig in Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben, sondern kommen nach einer gewissen Zeit in die Anschlussunterbringung. Für die Integration wäre ideal, wenn über den Asylantrag von Flüchtlingen schnell entschieden würde, sie möglichst schnell arbeiten könnten und bei einem bewilligten Asylantrag möglichst bald in einer eigenen Wohnung wohnen könnten. Die Realität sieht aber meist anders aus: Es gibt insbesondere in florierenden Städten, wo sich am ehesten Arbeit finden lässt, kaum freie Wohnungen. Der Wohnungsmarkt ist also leergefegt und die wenigen angebotenen Wohnungen sind teuer und für Flüchtlinge oft nicht bezahlbar. Es können auch nicht ohne weiteres in Mengen Wohnungen gebaut werden, weil Baufläche knapp ist, bauliche und ökologische Standards eingehalten werden müssen und das Bauwesen durch Störungen in den Lieferketten beeinträchtigt ist. Zudem fehlt es an Fach- und Arbeitskräften. Am ehesten können Flüchtlinge in Städten und Regionen eine Wohnung finden, die weniger pulsieren. Dort ist allerdings das Arbeitsangebot nicht so groß und vielfältig. So kommt es, dass Flüchtlinge auch bei der Anschlussunterbringung oft noch in Gemeinschaftsunterkünften wohnen. Diese Gemeinschaftsunterkünfte stellen – wie insbesondere die Containeranlagen – nur eine Notlösung dar, bei der die Wohnbedingungen oftmals problematisch und aufgrund des engen Zusammenwohnens von Menschen verschiedener Herkunft oft konfliktträchtig sind. Das Leben in Gemeinschaftsunterkünften erschwert die Integration von Flüchtlingen in die einheimische Gesellschaft, weil sie isolierter wohnen, weniger mit der einheimischen Gesellschaft in Kontakt kommen und eher als Fremdkörper empfunden werden. Um dieses Manko abzumildern wird angestrebt, die Flüchtlingsunterkünfte möglichst klein zu halten. So wird auch vermieden, dass sich Anwohner angesichts einer großen Flüchtlingsunterkunft überfremdet und bedroht fühlen, Widerstand leisten und Protest wählen.xxii
Flüchtlinge haben oft nicht viel Geld. Das bedeutet, dass sie bei der Wohnungssuche sehr eingeschränkt sind. Menschen mit wenig Geld finden am ehesten in unattraktiven Stadtvierteln eine Wohnung. Diese Stadtviertel sind oft mäßig bis schlecht an das Netz öffentlicher Verkehrsmittel angeschlossen und im Hinblick auf soziale und kulturelle Einrichtungen unterversorgt. Häufig ist in diesen Vierteln der Migrantenanteil schon vergleichsweise hoch. So kommt es zu unfreiwilliger Segregation (vom lateinischen „segregatio = „Absonderung/Trennung“). Getrennt werden Flüchtlinge bzw. bestimmte Migrantengruppen von dem wohlhabenderen, meist eher deutsch geprägten Bevölkerungsteil. Die Segregation ist der Integration abträglich, und zwar nicht nur der Migranten, sondern auch der sozial schwachen deutschen Bevölkerung. Neben der unfreiwilligen gibt es auch freiwillige Segregation. So ziehen Migranten gerne in Viertel, in denen sie Ihresgleichen finden, also Menschen gleicher Herkunft, Volkszugehörigkeit, Kultur und Religion. Hier knüpfen sie am ehesten persönliche Kontakte und leben sich am schnellsten ein. Ist die Segregation stark, dann entstehen sogenannte Parallelgesellschaften. Wenn in diesen Parallelgesellschaften Werte und Normen herrschen, die denen der heimischen Bevölkerung zuwiderlaufen, dann kann das zu einem Problem werden. Die Gesamtbevölkerung kann in ihre einzelnen Bestandteile zerfallen, in sozial schwachen Vierteln kann eine hohe Kriminalitätsrate herrschen und die Stadtentwicklung wird beeinträchtigt, weil solche Viertel von vielen Unternehmen und Geschäften und auch von vielen Bürgern „besserer“ Viertel gemieden werden. Weil private Investoren und große Wohnungsbaugesellschaften in sozial schwachen Wohnvierteln nur geringe Renditemöglichkeiten sehen, besteht die Gefahr, dass Modernisierungen und Instandsetzungen des Gebäudebestandes ausbleiben und Gebäude verfallen.
Um solche Parallelgesellschaften aufzulösen, können verschiedene Maßnahmen ergriffen werden. So können – Dänemark (Stand 2020) als Beispiel genommen – stark von Ausländern geprägte Viertel, die bestimmte Merkmale einer sozial schwachen Bevölkerung aufweisen, als „Ghettos“angesehen und Gebäude abgerissen und Bewohner umgesiedelt werden. In Brennpunktbezirken kann die Polizeipräsenz erhöht und die Möglichkeit vorgesehen werden, Verbrechen in diesen Vierteln doppelt so hart zu bestrafen wie wenn sie in einem anderen Bezirk begangen werden. Besonderer Wert kann auf den Spracherwerb, insbesondere von Kindern, gelegt werden. Kinder, die einen verpflichtenden Sprachkurs nicht bestehen, können einer intensiven Sprachförderung zugeführt werden. Sofern Eltern ihrer Verantwortung hinsichtlich der Erziehung ihrer Kinder nicht hinreichend nachkommen, indem sie sich beispielsweise nicht an den Sprachförderprogrammen beteiligen, können ihnen Sanktionen, u. a. in Form von Kindergeldkürzungen, angedroht werden. Zudem kann für Kinder in den „Ghettos“ eine Kita-Pflicht gelten. Alle diese Maßnahmen gehen davon aus, dass Segregation schlecht und flächendeckend zu bekämpfen sei.
Man kann aber auch darauf verweisen, dass in manchen Ländern Stadtviertel, in denen eine bestimmte Migrantengruppe vorherrscht (z. B. Chinatowns) als Vorzeigeviertel gelten, obwohl sie eigene Zeitungen, eigene Schulen und eigene Rundfunksender haben. Statt wegen angeblicher Parallelgesellschaften in Aufregung zu verfallen und Ängste zu schüren, sollten diese – so die alternative Sichtweise – besser als Kleingesellschaften angesehen werden, die dabei helfen, den Alltag zu meistern. Parallelgesellschaften könnten als Teil der Gesellschaft akzeptiert und für die Verschiedenheit einer Stadtgesellschaft fruchtbar gemacht werden. Nicht Parallelgesellschaften seien ein Problem. Es gelte vielmehr soziale Ungleichheiten, die sich räumlich widerspiegeln, anzugehen als ganze Quartiere oder Bezirke zu stigmatisieren. Die anzugehenden Ungleichheiten bestünden auf dem Arbeitsmarkt, in der Bildung, beim Zugang zum Wohnungsmarkt und im gesellschaftlichen Miteinander. Die „ghetto-freie“ Gesellschaft sei eine utopisch-idealistische Vorstellung.
Manche Maßnahmen des repressiven dänischen Modells seien mit deutschem Recht nicht vereinbar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfe wesentlich Gleiches nicht ungleich und wesentlich Ungleiches nicht gleich behandelt werden. Das schließe aus, dass in Problembezirken für Verbrechen höhere Strafen verhängt werden. Die angedrohte Strafe habe in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Maß der Schuld des Täters zu stehen; die verhängte Strafe dürfe die Schuld des Täters nicht übersteigen. Auch Zwangsumsiedlungen seien rechtlich kaum vertretbar. Zwar gebe es im Grundgesetz kein eigenständiges Recht auf Heimat, jedoch könne nicht ohne weiteres in Eigentumsrechte und in das Recht, einen Ortswechsel nicht vorzunehmen, eingegriffen werden. Besser als repressive Maßnahmen sei Quartiermanagement / Stadtteilmanagement.xxiii
Integration beginnt oft auf der Ebene der Quartiere oder kleinerer Gemeinden. Das Quartiermanagement / Stadtteilmanagement – eine kommunale Aufgabe – soll dazu beitragen, dass sie gelingt. Es enthält verschiedene Aspekte, die alle Bewohner betreffen, aber speziell auch für Flüchtlinge von Bedeutung sind: Es geht darum die Infrastruktur vor Ort bedarfsgerecht anzupassen, also z. B. Begegnungsräume und Nachbarschaftshäuser zu schaffen. Dann muss aber auch für die nötigen Bildungsangebote gesorgt werden, denn Integration erfolgt in hohem Maße auch über Bildung. Darüber hinaus bedarf es kommunaler Wirtschaftsförderung, des (kostenlosen) Internetzugangs und der Verbesserung der Teilhabe und Mitwirkungsmöglichkeiten der Flüchtlinge. Und schließlich bedarf es auch der „Kümmerer“, die Flüchtlinge ansprechen und im Alltag Hilfestellung leisten. Mit zu bedenken sind Fragen der Mobilität. Viele Flüchtlinge haben kein Auto und manche – vor allem Frauen – keinen Führerschein. Sie sind also stärker darauf angewiesen, zu Fuß zu gehen, Fahrrad zu fahren oder die Öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen. Es geht also darum, Flüchtlinge mit bestimmten Fortbewegungsmitteln vertraut zu machen – geflüchtete Frauen können z. B. überdurchschnittlich oft nicht Rad fahren – und ihnen durch ein ausreichendes Angebot und durch passende Fahrscheine den Zugang zum ÖPNV zu ermöglichen. Ohne Mobilität wird nämlich die gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe erschwert. Alle genannten Aspekte müssen auch von den Landkreisen im Blick behalten werden.
Viele Flüchtlinge sind unbegleitete junge, teils noch minderjährige Menschen, die von den Jugendämtern in ihre Obhut genommen werden müssen. Oftmals muss angesichts fehlender oder gefälschter Pässe und falscher Altersangaben eine Altersbestimmung und -festsetzung vorgenommen werden. Die jungen, unbegleiteten Flüchtlinge brauchen eine andere und intensivere Betreuung als ältere Flüchtlinge oder geflohene Familien.xxiv
Einbeziehung von Ausländerbeiräten und Migrantenorganisationen
Damit die Integration gelingt, sollten auch Ausländerbeiräte und Migrantenorganisationen bewusst und aktiv in die Integration vor Ort mit einbezogen werden. Sie können auf die jeweiligen Adressatengruppen besser eingehen und deren Probleme und Herausforderungen besser verstehen. Außerdem verfügen sie über eine hohe Akzeptanz und Glaubwürdigkeit, die den Zugang zur Aufnahmegesellschaft für Neuankömmlinge erst einmal erleichtern kann. Ebenso wie die Ausländerbeirate und Migrantenorganisationen sind auch die Moscheegemeinden gefordert, ihren Beitrag zur Integration vor Ort und auch zur Anerkennung von und Identifikation mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zu leisten.
Auch kommunale Bedienstete und kommunale Mandatsträger mit Migrationshintergrund können zur Integration von Zugewanderten beitragen. Sie stellen positive Rollenvorbilder dar und können oftmals andere Zugänge zu den Communities eröffnen.xxv
Der Ausländerbeirat ist ein von den ausländischen Einwohnern einer Stadt gewähltes kommunales Gremium. Er fördert die sozialen und kulturellen Aktivitäten der ausländischen Einwohner. Er vertritt ihre Interessen gegenüber Gemeindeorganen und der Verwaltung und steht in ständigem Kontakt mit den Fraktionen, politischen Parteien, sozialen Organisationen und Migrantenvereinen. Der Ausländerbeirat setzt sich unter anderem ein für ein gleichberechtigtes Zusammenleben aller Einwohner einer Stadt, sowie gegen Vorurteile, Diskriminierung und Gewalt ein.xxvi
Das Feld der Migrantenorganisationen ist sehr vielfältig und dynamisch. Deshalb gibt es bisher keine einheitliche Definition, was eine Migrantenorganisation ist. Ganz allgemein kann man sagen, dass es sich um gemeinnützige Zusammenschlüsse handelt, die insbesondere von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte getragen werden und für deren Selbstverständnis, Ziele und Aktivitäten eine Migrationserfahrung zentral ist. In Deutschland gibt es (Stand 2020) derzeit schätzungsweise zwischen 12400 und 14300 aktive und formalisierte Migrantenorganisationen. Sie sind ein wichtiger Teil der zivilgesellschaftlichen Landschaft. Migrantenorganisationen sind viel häufiger als nichtmigrantische Vereine in Städten und insbesondere in Großstädten angesiedelt. Der überwiegende Teil der Migrantenorganisationen ist vor allem in der eigenen Stadt bzw. Kommune aktiv (über 60 %) und mit bis zu 100 Mitgliedern eher klein (58,1 %). Migrantenorganisationen fördern zuallererst die Teilhabe von Zuwanderern in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, etwa im sozialen Bereich (z. B. mit Beratung zu Kinderbetreuung) oder im Bildungsbereich, fördern interkulturellen Austausch und kulturelle Bildung oder unterstützen Geflüchtete. Die Arbeit von Migrantenorganisationen ist stark von Frauen geprägt. Sie machen nicht nur einen Großteil der Mitglieder aus, sondern haben häufig Leitungsfunktionen inne. Migrantenorganisationen unterstützen ehrenamtlich Engagierte heute häufiger als in früheren Jahren mit hauptamtlichem Personal. Migrantenorganisationen arbeiten fast nie isoliert, sondern sind in vielfältige Netzwerke eingebunden. Migrantenorganisationen bemühen sich aktiv und erfolgreich um Fördermittel. Die Chancen auf Förderung steigen erheblich, wenn Migrantenorganisationen
hauptamtliche Strukturen aufweisen und ihre Tätigkeit unmittelbar auf Integration ausgerichtet ist.xxvii
Grenzen der Integration
Integration kann es nur geben, wenn Flüchtlinge bzw. Migranten Kontakt zur einheimischen Bevölkerung haben und am besten auch in sie eingebunden sind. Die einheimische Bevölkerung ist nicht homogen (= einheitlich), sondern heterogen (= ungleichartig). Die einheimische Bevölkerung setzt sich aus Menschen unterschiedlicher sozialer Schichten und unterschiedlicher Herkunft zusammen. Die unterschiedliche Herkunft bezieht sich nicht nur auf die unterschiedlichen Bundesländer oder Regionen Deutschlands, sondern auf die ganze Welt. In diesem Zusammenhang wird oft von „Menschen mit Migrationshintergrund“ gesprochen. Von einem „Migrationshintergrund“ wird dann gesprochen, wenn eine Person selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde.xxviii Aus dieser Definition geht hervor, dass auch die Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund keinesfalls homogen ist. Sie setzt sich aus Menschen unterschiedlichen Geschlechts, unterschiedlicher Volkszugehörigkeit und Abstammung, unterschiedlicher Religion und Kultur und außerdem unterschiedlicher Lebenserfahrungen zusammen. Auch der Grad der Integration in die einheimische Bevölkerung ist unterschiedlich, was letztendlich die Unterscheidung zwischen „heimischer Bevölkerung“ und Zugewanderten schwierig macht. Auch Zugewanderte können heimisch sein oder sich heimisch fühlen.
Aus all dem könnte man nun schließen, dass Flüchtlinge bzw. Migranten einfach nur Kontakt zur einheimischen Bevölkerung bekommen sollen und dann der Integration der Weg geebnet wird. Wenn die einheimische Gesellschaft durch die Zugewanderten bereichert wurde, wieso sollten die weiteren Zugewanderten nicht auch eine Bereicherung sein? Kann es da überhaupt wünschenswert oder gar notwendig sein, die Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge zu begrenzen?
Für eine Begrenzung – in welcher Form und in welchem Maße auch immer – spricht, dass Zugewanderte nicht grundsätzlich eine Bereicherung darstellen, sondern auch Schwierigkeiten und Konflikte mit sich bringen. Jede Begegnung von Einheimischen mit Fremden ist im Grunde anstrengend. Sie setzt nämlich voraus, dass sich sich ein Ich mit einem Du befasst. Schon die Begegnung von zwei Deutschen kann mühsam sein, weil sie nur dann positiv ist, wenn ein Mensch – das Ich – bereit ist, sich auf einen anderen Menschen – das Du – einzustellen. Gehören die beiden Menschen verschiedenen Völkern an, ist noch mehr Offenheit und Einfühlung erforderlich. Das Fremde (und speziell auch das Exotische) birgt eine gewisse Faszination, kann aber auch ein Abwehrverhalten hervorrufen. Bekommt ein Mensch das Gefühl, dass sein gewohntes, vertrautes und womöglich geschätztes Umfeld wegen der vielen Fremden schwindet, dann ist das für ihn eine „Überfremdung“. Es handelt sich um ein ganz subjektives Gefühl, aber dieser psychologische Aspekt ist nicht zu unterschätzen.
Es stellt sich die Frage, wo die Grenze der Integration von Zugewanderten liegt. Wenn die Integration stets gut klappt und alle Zugewanderten die Grundrechte und das Grundgesetz achten, braucht man sich über eine Grenze keine Gedanken zu machen. In der Realität klappt die Integration aber nicht immer. Menschen pflegen nämlich bevorzugt Beziehungen zu Ihresgleichen, also Menschen gleicher Religion, gleicher Volkszugehörigkeit usw. Bei Zugewanderten besteht also die Gefahr von Parallelgesellschaften. Außerdem halten sich nicht alle Zugewanderten an die Grundrechte und das Grundgesetz. Das tun auch nicht alle Einheimischen, aber bei Zugewanderten kommt erschwerend die fremde Herkunft hinzu. Wie geht man z. B. also mit einem Zugewanderten um, der die Gleichberechtigung der Geschlechter, das demokratische Staatswesen und/oder Menschen keiner oder anderer Religionszugehörigkeit verachtet?
Im Hinblick auf die Grenzen der Integration spielen nicht nur persönliche und rechtliche Aspekte eine Rolle, sondern auch institutionelle. Wenn eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) feststellt, dass Kinder von Migranten möglichst schnell Sprachförderung erhalten und in die regulären Klassen integriert werden sollten, außerdem möglichst rasch in qualitativ hochwertigen Bildungseinrichtungen angemeldet werden sollten, dann ist das zwar eine wünschenswerte, aber in der Praxis schwer umsetzbare Zielsetzung. Je verschiedenartiger eine Lerngruppe und je höher der Bedarf an Sprachförderung ist, desto höher sind die Anforderungen, die an den Unterricht sowie an die Qualität und Verfügbarkeit des Personals gestellt werden. Ist die Lerngruppe in einem hohen Maß ungleichartig, besteht die Gefahr der Überforderung von Kindern und Lehrpersonal und es kommt der Eindruck auf, dass die Gesellschaft zerfällt. Am Ende stellt sich die Frage, wer sich „worein“ integriert. Die Frage stellt sich dann um so dringlicher, wenn Zugewanderte darauf bestehen, dass die Bildungseinrichtung auf ihre Kultur mit all ihren Gebräuchen und auf ihre Religion Rücksicht nehmen solle. Gerade strenggläubige Muslime stellen diesbezüglich eine Herausforderung dar.xxix
Bei Flüchtlingen stellt sich noch eine ganz besondere Schwierigkeit: Sie haben oft als Verfolgte, im Krieg und/oder auf der Flucht Schreckliches erlebt und sind von diesen schrecklichen Erfahrungen traumatisiert. Sie können aufgrund ihrer Traumata nicht wie von solchen Erlebnissen verschonte Menschen Kontakte knüpfen, lernen und arbeiten. Gerade diese traumatisierten Menschen bedürfen der Aufnahme, Unterstützung und Hilfe. Aber gerade diese traumatisierten Menschen stellen im Hinblick auf die Integration eine besondere Herausforderung dar. Und schlimmstenfalls können sie die Akzeptanz von Flüchtlingen beeinträchtigen, nämlich dann, wenn ihre Traumata zu problematischen Verhaltensweisen bis hin zu Gewaltakten führen.
Flüchtlinge als Gäste
Zu beachten ist, dass Asyl im Grunde zeitlich begrenzt gewährt wird. Die Aufnahme erfolgt theoretisch nur so lange, wie der Aufnahmegrund existiert. Hat sich die Lage im Herkunftsland gebessert, müssen die Flüchtlinge wieder zurück in ihre Heimat. Mit der zeitlich begrenzten Aufnahme ist eine Unsicherheit seitens der Flüchtlinge verbunden, die bewirken kann, dass sie weder der Heimat ganz verbunden sind noch dem Aufnahmeland. Wenn der Zeitpunkt der Rückkehr absehbar ist, ist der Wille zur Integration oft nicht besonders groß. Warum soll jemand Deutsch lernen, wenn er sowieso in absehbarer Zeit wieder in die Heimat zurückkehrt? Warum sollte jemand ein Geschäft eröffnen, wenn abzusehen ist, dass dieses nicht weitergeführt werden kann und damit die Investitionen in den Sand gesetzt sind?
Nun könnte man diese Unsicherheit als Kleinigkeit abtun, weil sie ja nur überschaubare Zeit dauert. Tatsächlich ist die Zeit jedoch nicht überschaubar. Die Lage im Herkunftsland ist nicht unbedingt vorhersehbar, die Lebensgefahr kann lange andauern, aber es kann sich die Lage auch unvorhergesehen ändern. Wenn sie sich zum Besseren geändert hat, heißt das noch nicht unbedingt, dass die verbesserte Lage stabil bleibt. Insofern ist es schwer, einen Zeitpunkt für die Rückkehr festzusetzen. Das Einfachste wäre, die Flüchtlinge selbst entscheiden zu lassen, wann sie zurückkehren. Dann würde jedoch der Staat bezüglich der Aufenthaltsbeendigung das Heft aus der Hand geben. Es ist ebenso die Aufgabe des Staates zu entscheiden, wann ein Flüchtling wieder in die Heimat zurückkehren muss, wie es zu seinen Aufgaben gehört, über die Aufnahme eines Flüchtlings zu entscheiden.
In der Realität bleiben die meisten Flüchtlinge viele Jahre und manchmal sogar das ganze Leben in Deutschland (und auch anderen Aufnahmeländern). Es dauert meist lange, bis der Fluchtgrund wegfällt. Und je länger der Fluchtgrund bestehen bleibt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Flüchtling integriert hat. Wenn ein Flüchtling gut integriert ist, ist es problematisch, ihn wieder in die Heimat zu schicken. Er hat in Deutschland Freunde und eine Arbeit gefunden, ist vielleicht inzwischen in seinem Betrieb eine wichtige Arbeitskraft geworden oder hat selbst einen Betrieb gegründet. Es kann sein, dass er nach vielen Jahren kaum noch Bezug zu oder Beziehungen in seinem Herkunftsland hat. So kommt es, dass viele Flüchtlinge auch nach dem Wegfall des Fluchtgrundes in Deutschland bleiben dürfen und auch bleiben. Das ist menschlich und kann auch wirtschaftlich sinnvoll sein. Das ist aber auch fragwürdig, weil der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund in der Gesellschaft immer weiter ansteigt und dem Gefühl Vorschub geleistet wird, Deutschland sei überfremdet. Der Bereitschaft, weitere Flüchtlinge aufzunehmen, ist dies abträglich.
Einbürgerung
Ebenso wie andere Migranten haben Flüchtlinge einen Anspruch auf Einbürgerung, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:
– seit fünf Jahren gewöhnlicher und regelmäßiger Aufenthalt in Deutschland
– geklärte Identität und Staatsangehörigkeit
– Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland
– Bekenntnis zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen
unbefristetes Aufenthaltsrecht zum Zeitpunkt der Einbürgerung (auch bestimmte andere Aufenthaltserlaubnisse möglich)
– Fähigkeit, den eigenen Unterhalt und den der unterhaltsberechtigten Familienangehörigen zu bestreiten, ohne Sozialleistungen nach dem SGB II oder XII in Anspruch zu nehmen
– keine Verurteilung wegen einer Straftat
– ausreichende Deutschkenntnisse
– Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschlandxxx
i Vgl. Peter Seyferth, Paradoxien der Selbstbestimmung und der Integration, in: K. B. Schnebel [Hrsg.], Selbstbestimmung und Integration: Wie wir unsere Gesellschaft zusammenhalten, Baltmannsweiler 2019, 61.
ii Vgl. Andrea Taubenböck, Integration und Toleranz – eine Initiative starten und umsetzen (Stiftung Wertebündnis Bayern), in: K. B. Schnebel [Hrsg.], Selbstbestimmung und Integration: Wie wir unsere Gesellschaft zusammenhalten, Baltmannsweiler 2019, 27-28. Ausführlich zur Frage, was „Integration“ ist, Thomas Kunz, Was meint eigentlich „Integration“? Nachdenken über einen scheinbar selbstverständlichen Begriff, Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik (ZAR) 38/3 (2018), 107-113.
iii Vgl. Marcel Vondermaßen, Identitätsprägende Gruppen – Welches „Wir“ streben wir eigentlich an?, in: K. B. Schnebel [Hrsg.], Selbstbestimmung und Integration: Wie wir unsere Gesellschaft zusammenhalten, Baltmannsweiler 2019, 35-52.
iv Zur Umsetzung von teilhabeorientierten Integrationskonzepten in den Kreisen und kreisfreien Städten siehe Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung [Hrsg.], Alle sollen teilhaben. Wie Kreise und kreisfreie Städte Integration neu denken, Berlin 2023, https://kommunal.de/sites/default/files/2023-10/BI_Teilhabe23_Online_230918.pdf (aufgerufen am 05.07.2024).
v Vgl. https://www.kulturelle-integration.de/2023/12/18/these1/ (aufgerufen am 14.07.2024).
vi Vgl. Jan Eckhard, Deutschkenntnisse von geflüchteten Frauen und Männern: Entwicklung, Unterschiede und Hintergründe (BAMF-Kurzanalyse 1/2024), Nürnberg 2023, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Kurzanalysen/kurzanalyse1-2024-iab-bamf-soep-geschlechterunterschiede-deutschkenntnisse.pdf?__blob=publicationFile&v=8 (aufgerufen am 23.07.2024).
vii Vgl. https://www.kulturelle-integration.de/2023/12/18/these12/ (jeweils aufgerufen am 14.07.2024).
viii Vgl. Stellungnahme des Paritätischen Gesamtverbandes zum Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimat zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz), 13.10.2023.
ix Vgl. https://www.bamf.de/SharedDocs/Dossiers/DE/Integration/integrationskurse-im-fokus.html?nn=284228&cms_pos=2 (aufgerufen am 24.07.2024).
x Vgl. Tanja Zinterer, Transnationalismus in der politischen Bildung. Zur Förderung politischer Partizipation von Migrantinnen und Migranten – auch über nationale Grenzen hinweg, in: K. B. Schnebel [Hrsg.], Selbstbestimmung und Integration: Wie wir unsere Gesellschaft zusammenhalten, Baltmannsweiler 2019, 69-79.
xi Vgl. https://www.bmas.de/DE/Arbeit/Migration-und-Arbeit/Flucht-und-Aysl/Arbeitsmarktzugang-fuer-Gefluechtete/arbeitsmarktzugang-fuer-gefluechtete.html (aufgerufen am 30.01.2025); Deutscher Bundestag, Drucksache 20/14729.
xii Vgl. https://www.kulturelle-integration.de/2023/12/18/these14/ ; https://www.kulturelle-integration.de/2024/06/06/das-gegenteil-von-integration-2/ ; (jeweils aufgerufen am 14.07.2024).
xiii Vgl. Herbert Brücker, Philipp Jaschke, Yuliya Kosyakova, Ehsan Vallizadeh, Entwicklung der Arbeitsmarktintegration seit Ankunft in Deutschland: Erwerbstätigkeit und Löhne von Geflüchteten steigen deutlich. (IAB-Kurzbericht 13/2023), Nürnberg 2023, DOI:10.48720/IAB.KB.2313 ; Landratsamt Böblingen, Amt für Migration und Flüchtlinge [Hrsg.], Geflüchtete Frauen – Potenziale erkennen, 2018, https://www.lrabb.de/site/LRA-BB-2018/get/params_E-2046468323/17233630/IQ-BW_Broschu%CC%88re_FrauenprojektLRABB.pdf (aufgerufen am 23.07.2024). Jan Eckhard, Deutschkenntnisse von geflüchteten Frauen und Männern: Entwicklung, Unterschiede und Hintergründe (BAMF-Kurzanalyse 1/2024), Nürnberg 2023, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Kurzanalysen/kurzanalyse1-2024-iab-bamf-soep-geschlechterunterschiede-deutschkenntnisse.pdf?__blob=publicationFile&v=8 (aufgerufen am 23.07.2024): Bei Lohnvergleichen ist zu berücksichtigen, dass das Durchschnittsalter der Geflüchteten sehr viel niedriger als im Bevölkerungsdurchschnitt ist und ihre Verdienste aufgrund der stark senioritätsbezogenen Entlohnung in Deutschland schon allein aufgrund ihres Lebensalters und der kürzeren Berufserfahrung geringer ausfallen.
xiv Vgl. Stephan Lanius, Warum sind Kulturen unterschiedlich?, in: K. B. Schnebel [Hrsg.], Selbstbestimmung und Integration: Wie wir unsere Gesellschaft zusammenhalten, Baltmannsweiler 2019, 191-200.
xv Vgl. https://miz.org/de/beitraege/migration-integration-und-musik (aufgerufen am 15.07.2024).
xvi Vgl. https://www.kulturrat.de/themen/wertedebatte/theaterprojekte-als-chance-zur-integration/ , https://www.bpb.de/lernen/kulturelle-bildung/60135/die-herkunft-spielt-keine-rolle-postmigrantisches-theater-im-ballhaus-naunynstrasse/ (aufgerufen jeweils am 24.07.2024).
xvii Vgl. https://www.malteser-werke.de/kunst-grenzenlos.html (aufgerufen am 24.07.2024).
xviii Vgl. BertelsmannStiftung [Hrsg.], Kunst in der Einwanderungsgesellschaft. Beiträge der Künste für das Zusammenleben in Vielfalt, Gütersloh 2018, https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/kunst-in-der-einwanderungsgesellschaft/ (aufgerufen am 24.07.2024).
xix www.dfb.de/fileadmin/_dfbdam/123397-DFB_Fluechtlingsfussball_BF_11.pdf ; https://www.sport-for-development.com/imglib/downloads/giz2017-de-Entwicklungziele%20umsetzen%20-%20Sport%20im%20Kontext%20von%20Flucht.pdf (jeweils aufgerufen am 27.07.2024).
xx Zur interkulturellen Öffnung von Vereinen, zur interkulturellen Kompetenz und zur interkulturellen Weiterbildung siehe https://www.bundesregierung.de/resource/blob/992814/405932/d2efe014b8a6a9c5ccca17f3871c22c0/2009-08-10-interkulturelle-oeffnung-im-sport-data.pdf?download=1 (aufgerufen am 27.07.2024).
xxi Vgl. https://integration.dosb.de/inhalte/ueber-uns/das-programm/ ; zur Programmkonzeption siehe https://cdn.dosb.de/user_upload/www.integration-durch-sport.de/Service/Info-Material/Programmkonzeption_Integration_durch_Sport.pdf (jeweils aufgerufen am 27.07.2024).
xxii Vgl. Deutsches Institut für Urbanistik (Difu) [Hrsg.], Flüchtlinge und Asylsuchende in Kommunen, Special Difu-Berichte 4/2015.
xxiii Vgl. Marcus Kutscher, Umgang mit Segregationsformen am Beispiel der dänischen „Anti-Ghetto-Strategie“, Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik (ZAR) 40/9 (2020), 320-325.
xxiv Vgl. Deutsches Institut für Urbanistik (Difu) [Hrsg.], Flüchtlinge und Asylsuchende in Kommunen, Special Difu-Berichte 4/2015. Zu den Chancen des Quartier-/Stadtteilmanagements und zu „Soziallotsen“ im Salzlandkreis als „Kümmerer“ siehe Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. [Hrsg.], Integration vor Ort: Herausforderungen. Erfahrungen. Perspektiven (Handreichungen zur Politischen Bildung 24), Berlin 2017, 56-57.78-79.
xxv Vgl. Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. [Hrsg.], Integration vor Ort: Herausforderungen. Erfahrungen. Perspektiven (Handreichungen zur Politischen Bildung 24), Berlin 2017, 91.
xxvi Vgl. https://www.darmstadt.de/rathaus/politik/auslaenderbeirat ; ähnlich, aber ausführlicher https://www.dresden.de/de/rathaus/politik/stadtrat/auslaenderbeirat/aufgaben.php (jeweils aufgerufen am 05.06.2025).
xxvii Vgl. Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR-Forschungsbereich) 2020 [Hrsg.], Vielfältig engagiert – breit vernetzt – partiell eingebunden?Migrantenorganisationen als gestaltende Kraft in der Gesellschaft, Berlin.
xxviii Vgl. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Migration-Integration/Glossar/migrationshintergrund.html (aufgerufen am 04.6.2024). Die Vertriebenen des Zweiten Weltkrieges haben (gemäß Bundesvertriebenengesetz) einen gesonderten Status; sie und ihre Nachkommen zählen daher nicht zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund.
xxix Einen grundsätzlichen Überblick über die Herausforderung der Sprachschulung und über die Integration in das Bildungssystem bietet Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. [Hrsg.], Integration vor Ort: Herausforderungen. Erfahrungen. Perspektiven (Handreichungen zur Politischen Bildung 24), Berlin 2017, 58-62 mit Bezug auf die Studie OECD [Hrsg.], Immigrant Students at School. Easing the Journey towards Integration, Paris 2015.
xxx Vgl. https://www.bamf.de/DE/Themen/Integration/ZugewanderteTeilnehmende/Einbuergerung/einbuergerung-node.html (aufgerufen am 05.06.2025).