Wenn ein Mensch aus seinem Herkunftsland flüchtet und schließlich nach Deutschland gelangt, ist er nur daran interessiert, Schutz zu finden. Welche Schutzformen es in Deutschland gibt, weiß er gewöhnlich nicht. Auch weiß er gewöhnlich nicht, welcher Schutzstatus ihm zusteht, sofern ihm einer zugestanden wird. Ein Flüchtling sucht ganz grundsätzlich erst mal Schutz. Er stellt einen Asylantrag, wobei dieser ein Schutzgesuch ist und nicht auf eine ganz bestimmte Schutzform abzielt. Ob dem Flüchtling – genau genommen ein „Asylsuchender“ (oder „Asylbewerber“) oder (nach der Antragstellung, aber noch vor dem Bescheid) ein „Asylantragsteller“ – tatsächlich ein Schutz zusteht, entscheiden Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Für sie ist der Flüchtling zunächst einmal ein irregulärer Migrant, denn aus ihrer Sicht muss er ja nicht aufgrund von Lebensgefahr oder Verfolgung nach Deutschland gekommen sein. Das gilt es ja zu prüfen. Wenn sie zur Erkenntnis gekommen sind, dass sie es tatsächlich mit einem Flüchtling zu tun haben, müssen sie herausfinden, aus welchem Grund dieser geflohen ist, denn danach richtet sich die Schutzform, die dem Flüchtling zugestanden wird.

Die wenigsten Bürger Deutschlands dürften sich mit den verschiedenen Schutzformen für Flüchtlinge auskennen. Für sie sind die Fremden erst mal Migranten, und wenn sie wissen, dass jemand aufgrund von Verfolgung aufgenommen worden ist, dann ist diese Person für sie ein „Flüchtling“. So wird meist ganz allgemein von „Flüchtlingen“ gesprochen, ohne den Schutzstatus zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung des Schutzstatus ist aber notwendig, um ein differenziertes und möglichst wirklichkeitsgetreues Bild von der Flüchtlinge betreffenden Lage in Deutschland zu bekommen.

Wenn einem Asylantrag stattgegeben wird, dann heißt das nicht unbedingt, dass die betroffene Person eine Asylberechtigung erhält und politisch verfolgt ist, auch wenn die Begriffe dies annehmen lassen. Anerkannte Asylbewerber können vier verschiedenen Schutzformen zugeordnet werden: Asylberechtigung, Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz und Abschiebungsverbot. Mit jeder Schutzform ist ein eigener Status mit eigenen Rechten und Pflichten verbunden.

Asylberechtigung

Gemäß Art. 16a Abs. 1 GG (= Grundgesetz) genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Das Asylrecht hat in Deutschland also Verfassungsrang. Doch wer ist politisch verfolgt? Zunächst denkt man bei politischer Verfolgung an Verfolgung der Opposition seitens der Regierung. Eine solche hat es ja in Deutschland insbesondere in der Zeit des Nationalsozialismus gegeben und tatsächlich ist die Hochschätzung des Asylrechts mit den Erfahrungen in der Zeit des Nationalsozialismus zu begründen. Allerdings wird „politische Verfolgung“ weiter definiert: Als politisch verfolgt gilt eine Person, wenn sie im Herkunftsstaat einer schweren Verletzung ihrer Menschenrechte ausgesetzt wäre – aufgrund ihrer Rasse, Nationalität, politischen Überzeugung, Religion oder ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG [= Asylgesetz]). Auch die Juden waren demnach zur Zeit des Nationalsozialismus politisch Verfolgte. Vorausgesetzt wird, dass es keine Fluchtalternative innerhalb des Herkunftslandes oder anderweitigen Schutz vor Verfolgung gibt. Berücksichtigt wird nur Verfolgung, die in irgendeiner Form vom Staat ausgeht. Notsituationen wie Armut, Bürgerkriege, Naturkatastrophen oder Perspektivlosigkeit sind damit als Gründe für eine Asylgewährung gemäß Artikel 16a GG grundsätzlich ausgeschlossen.i

Das Asyl für politisch Verfolgte nach dem Grundgesetz stellt also nur einen Teil dessen dar, was wir im weiteren Sinn unter „Asyl“ verstehen und spielt in der Praxis auch nur eine geringe Rolle. Weniger als 1 % der Asylsuchenden wird ein Schutzstatus wegen politischer Verfolgung im Sinne des Grundgesetzes zugestanden.

Aus verschiedenen Gründen hat das deutsche Asylrecht an Bedeutung verloren. Erstens sind zum Asylrecht nach dem Grundgesetz die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention getreten. Zweitens ist das deutsche Asylrecht Schritt für Schritt vom Asyl- und Flüchtlingsrecht der EU überlagert worden. Drittens hat der sogenannte Asylkompromiss des Jahres 1993 für eine massive Einschränkung des deutschen Asylrechts gesorgt. So kann sich gemäß dem neu geschaffenen Art. 16a Abs. 2 nicht auf das politische Asylrecht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention sichergestellt ist. Deutschland ist von solchen Staaten umgeben, so dass Art. 16a Abs. 2 auf die meisten Flüchtlinge zutrifft, die auf dem Landweg einreisen. Darüber hinaus ermöglicht es Art. 16a Abs. 3 GG, dass sogenannte sichere Herkunftsstaaten festgelegt werden. Darunter werden Staaten verstanden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet.ii Mit der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) können auch Teilgebiete von Herkunftsstaaten für sicher erklärt werden.

Nicht asylberechtigt ist eine Person, die ein schweres Kriegsverbrechen oder ein schweres Verbrechen begangen hat oder den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider gehandelt hat oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder für die Allgemeinheit darstellt.

Asylberechtigte genießen gemäß § 2 Abs. 1 AsylG die Rechtsstellung nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Sie erhalten für drei Jahre eine Aufenthaltserlaubnis und bei Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen nach drei oder fünf Jahren eine Niederlassungserlaubnis. Außerdem erhalten sie einen unbeschränkten Arbeitsmarktzugang und den Anspruch auf privilegierten Familiennachzug.iii

Flüchtlingsschutz

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird als „Flüchtling“ jede Person bezeichnet, die aus irgendeinem Grund aus ihrem Herkunftsland geflüchtet ist. Die Fluchtgründe können alle erdenklichen sein, wie z. B. Flucht vor Unterdrückung, Bedrohung des Lebens oder der Freiheit, vor Verfolgung, vor erdrückender Armut oder (Bürger-)Krieg und schließlich vor Naturkatastrophen und Hungersnöten. Von diesem allgemeinen Sprachgebrauch sind die rechtlichen Definitionen zu unterscheiden, die sich in verschiedenen Flüchtlingskonventionen finden. Unter den Flüchtlingskonventionen, die teilweise wie z. B. die Afrikanische Flüchtlingskonvention nur regional Anwendung finden, findet sich die Genfer Flüchtlingskonvention, die von den Staaten am häufigsten ratifiziert wurde und damit in der Praxis die wichtigste Flüchtlingskonvention ist.

Laut Artikel 1A der Genfer Flüchtlingskonvention (offiziell: „Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“) ist ein Flüchtling eine Person, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will“. In Artikel 1F ist festgelegt, dass bestimmte Gruppen – zum Beispiel Kriegsverbrecher – vom Flüchtlingsstatus ausgeschlossen sind.

§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG hat die in Art. 1A GFK aufgezählten Verfolgungsgründe übernommen. Ein Asylbewerber ist demnach ein „Flüchtling“. Allerdings ist der Flüchtlingsschutz insofern weiter gefasst als die Asylberechtigung, als der Flüchtlingsschutz auch dann zuerkannt wird, wenn die Verfolgung von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht.

Die Gründe, die vom Flüchtlingsschutz ausschließen, und die Rechtsstellung entsprechen der Asylberechtigung.iv

Subsidiärer Schutz

Subsidiärer Schutz wird Personen gewährt, denen zwar keine Asylberechtigung und kein Flüchtlingsschutz zuerkannt werden, die aber dennoch schutzbedürftig sind und deren Rückführung ins Herkunftsland aus verschiedensten Gründen nicht möglich ist.

Subsidiär Schutzberechtigten droht im Herkunftsland ein „ernsthafter Schaden“, der von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren ausgehen kann. Zum „ernsthaften Schaden“ werden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe und Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung gezählt, außerdem Lebensgefahr oder Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit einer Zivilperson in einem internationalen oder innerstaatlichen Konflikt. Zu den subsidiär Schutzberechtigten gehören also auch Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge. Schließlich kann subsidiärer Schutz auch infolge von Naturkatastrophen und Hungersnöten gewährt werden. Entscheidend ist stets, dass die schutzsuchende Person nicht dazu verpflichtet ist, ein individuelles Verfolgungsschicksal geltend zu machen. Entscheidend ist die ausreichende Intensität einer Gefahrensituation, die eine Rückkehr ins Herkunftsland verhindert.

Die nationale rechtliche Grundlage für den subsidiären Schutz ist § 4 AsylG. Diese rechtliche Grundlage gründet auf völkerrechtlichen Verpflichtungen im Hinblick auf die Menschenrechte, die in der Qualifikationsrichtlinie (2004/83/EG, mittlerweile durch die Richtlinie 2011/95/EU ersetzt) erstmals EU-weit kodifiziert wurden.

Im Hinblick auf den Schutz von Kriegsflüchtlingen ist die EU-Massenzustrom-Richtlinie (2001/55/EG) von 2001 von besonderer Bedeutung. Sie wurde nach den Erfahrungen mit der großen Zahl von Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien infolge der dortigen Kriege (insbesondere Bosnien- und Kosovo-Krieg) beschlossen. Europäische Staaten, vor allem Österreich, hatten damals unbürokratisch große Flüchtlingskontingente freiwillig jenseits des individuellen Asylverfahrens und des Dublin-Systems bei sich aufgenommen, registriert und versorgt. Damit das von der Massenzustrom-Richtlinie festgeschriebene Verfahren ausgelöst wird, muss der Rat der EU das Bestehen eines Massenstroms von Flüchtlingen feststellen. Die Flüchtlinge werden – so das Bestreben – gerecht verteilt. Ihnen wird für maximal zwei Jahre Schutz gewährt, dann kehren sie in ihre Herkunftsländer zurück. Zwei Jahre deswegen, weil nach etwa zwei Jahren die meisten Flüchtlinge nach Jugoslawien zurückgekehrt waren. Erstmalig haben die EU-Innenminister am 4. März 2022 einen Rats-Beschluss zur Anwendung der Massenzustrom-Richtlinie getroffen, und zwar mit Blick auf ukrainische Kriegsflüchtlinge, die nun Zugang zu Sozialleistungen, Gesundheitsversorgung, Bildung und Arbeit bekamen.

Auch „Klimaflüchtlinge“ zählen im Grunde zu den Personen, die subsidiären Schutz benötigen. Allerdings stellt sich die Frage, wann eine Person als „Klimaflüchtling“ anerkannt werden soll. Soll dies geschehen, wenn es gänzlich unmöglich ist, in der Heimat zu bleiben? Das wäre insbesondere dann der Fall, wenn das Heimatland aufgrund des steigenden Meeresspiegels im Wasser verschwunden und damit unbewohnbar geworden ist. Dies könnte bei Inselstaaten geschehen, die aus flachen Atollen bestehen, beispielsweise Tuvalu. Oder soll als „Klimaflüchtling“ schon gelten, wenn sich die aufgrund der Klimaerwärmung die Lebensbedingungen in der Heimat so verschlechtert haben, dass ein Verbleib in der Heimat unzumutbar ist? Aber ab welchem Grad der Verschlechterung ist der Verbleib in der Heimat unzumutbar? Und schließlich: Muss der Klimawandel der alleinige Grund dafür sein, dass ein Mensch die Heimat verlässt? Wie ist es zu bewerten, wenn die Klimaerwärmung zur Verschlechterung der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder politischen Verhältnisse geführt hat und ein Mensch deshalb in seinem Herkunftsland keine Perspektive mehr sieht? Soll ein solcher Mensch auch als „Klimaflüchtling“ gelten? Nur in wenigen Fällen wird sich ausmachen lassen, dass die Klimaerwärmung die Heimat völlig zerstört hat und/oder der einzige Fluchtgrund ist. Insofern stellt die Klärung und richtige rechtliche Behandlung der genannten Fragen eine erhebliche Schwierigkeit dar.

Die Ausschlussgründe vom subsidiären Schutz entsprechen den Ausschlussgründen von der Asylberechtigung und vom Flüchtlingsschutz, jedoch ist die Rechtsstellung subsidiär Schutzberechtigter eine andere: Subsidiär Schutzberechtigte erhalten eine Aufenthaltserlaubnis für (nur) ein Jahr, die jeweils um zwei Jahre verlängert werden kann. Eine Niederlassungserlaubnis wird nach fünf Jahren (die Asylverfahrensdauer wird eingerechnet) gewährt, sofern bestimmte Voraussetzungen, wie etwa die Sicherung des Lebensunterhalts und ausreichende Deutschkenntnisse, erfüllt sind. Zwar erhalten auch subsidiär Schutzberechtigte einen unbeschränkten Arbeitsmarktzugang, jedoch haben sie den Anspruch auf privilegierten Familiennachzug.v

Nationales Abschiebungsverbot

Wenn keine dieser Schutzformen greift, heißt das noch nicht unbedingt, dass eine Abschiebung erfolgt. So darf ein schutzsuchender Mensch nicht rückgeführt werden, wenn die Rückführung in den Zielstaat eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) darstellt, oder dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

Personen, die unter nationale Abschiebungsverbote fallen, bekommen eine Aufenthaltserlaubnis für mindestens ein Jahr, die wiederholt verlängert werden kann, wenn die Gründe hierfür nicht entfallen sind. Allerdings darf die Familie nur in eingeschränkten Fällen nachziehen. Mit der Aufenthaltserlaubnis ist die Berechtigung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit verbunden. Die rechtlichen Grundlagen des nationalen Abschiebungsverbot finden sich in § 60 AufenthG (= Aufenthaltsgesetz).vi

Die Aufenthaltserlaubnis wird gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist oder der Ausländer wiederholt oder gröblich gegen entsprechende Mitwirkungspflichten verstößt. Sie wird ferner nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer erstens (1.) ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat, (2.) eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat, (3.) sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen, oder (4.) eine Gefahr für die Allgemeinheit oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.

Der Weg von § 25 Abs. 3 AufenthG in die Niederlassungserlaubnis ist problemlos möglich. Diese Tatsache gilt auch für jeden anderen Aufenthaltstitel. Einzig der direkte Weg in die Einbürgerung ist mit § 25 Abs. 3 AufenthG nicht möglich.vii

Duldung

Wenn die Ausreisepflicht aus irgendeinem Grund nicht mittels freiwilliger Rückkehr oder Abschiebung vollzogen werden kann, wird auf ihre Vollstreckung verzichtet. Die Ausländerbehörde stellt dann eine Duldungsbescheinigung aus. Die Duldung berechtigt nicht zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und ist kein Aufenthaltstitel im Sinne des § 4 des Aufenthaltsgesetzes. Wenn der Grund der Duldung entfällt, kann die Abschiebung jederzeit vollzogen werden.viii

Geduldete Personen benötigen für die Aufnahme einer Beschäftigung stets die Erlaubnis der Ausländerbehörde. Wenn sie außerhalb einer Aufnahmeeinrichtung wohnen, soll ihnen eine Zustimmung zur Ausübung einer Beschäftigung erteilt werden, wenn sie sich seit drei Monaten rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, sofern nicht konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevorstehen. Wenn sie in einer Aufnahmeeinrichtung wohnen, ist ein Aufenthalt von sechs Monaten erforderlich.ix

Chancen-Aufenthaltsrecht

Am 31. Dezember 2021 haben sich in der Bundesrepublik Deutschland 242029

geduldete Ausländer aufgehalten, davon 136605 seit mehr als fünf Jahren. Von dieser Tatsache ausgehend hat die zu diesem Zeitpunkt regierende, aus Sozialdemokratischer Partei Deutschlands (SPD), Bündnis 90 / Die Grünen und Freier Demokratischer Partei (FDP) bestehende Regierungskoalition ein sogenanntes Chancen-Aufenthaltsrecht geschaffen. Dieses beabsichtigt denjenigen geduldeten Ausländern, die über die lange Aufenthaltszeit ihr Lebensumfeld in Deutschland gefunden haben, eine aufenthaltsrechtliche Perspektive zu eröffnen und eine Chance einzuräumen, die notwendigen Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt zu erlangen. Es sollen positive Anreize für die Integration in den Arbeitsmarkt und die für eine geordnete Migration wesentliche Identitätsklärung gesetzt werden. Die Lebensplanung für Ausländer, die sich viele Jahre in Deutschland aufhalten, soll verlässlicher werden, wenn sie bestimmte zur Integration führende Voraussetzungen erfüllen.

Ausländer, die am 31. Oktober 2022 seit fünf Jahren geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland leben, können gemäß § 104 AufenthG ein 18 Monate währendes Chancen-Aufenthaltsrecht erwerben, um die Möglichkeit zu erhalten, in dieser Zeit die übrigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen. Diese Voraussetzungen betreffen insbesondere die Sicherung des Lebensunterhalts, Kenntnisse der deutschen Sprache und den Identitätsnachweis. Für Jugendliche und junge Volljährige gelten Sonderregelungen.

Werden die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht erfüllt, fallen die Betroffenen in den Status der Duldung zurück, da es sich beim Chancen-Aufenthaltsrecht um eine einmalige Sonderregelung handelt und derselbe Aufenthaltsstatus nicht über ein Jahr hinaus verlängert werden kann.

Wer das Chancen-Aufenthaltsrecht anstrebt, muss sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und darf nicht wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt worden sein. Die Aufenthaltserlaubnis soll versagt werden, wenn der Ausländer wiederholt vorsätzlich falsche Angaben gemacht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht hat und dadurch seine Abschiebung verhindert.

Das Chancen-Aufenthaltsrecht ist insofern nicht unproblematisch, als illegale Einwanderung unter bestimmten Voraussetzungen legalisiert wird. Diejenigen, die die Voraussetzungen erfüllen, sind – so sagt es das negative Ergebnis der Prüfung des Asylantrags aus – nicht schutzbedürftig. Ebenfalls sind sie keine Arbeitsmigranten, denn für Personen, die zum Zwecke der Arbeitsaufnahme nach Deutschland kommen, gibt es eigene gesetzliche Regelungen. Diese Problematik ist den Bundestagsfraktionen bewusst, jedoch kommen sie zu verschiedenen Schlussfolgerungen. Die Fraktion der SPD betont, es gehe darum Menschen, die lange in Deutschland lebten und sich bislang perspektivlos in Kettenduldungen befinden, eine Perspektive zu schaffen. Dies sei auch aus sicherheitspolitischen Gründen nötig. Es handele sich mitnichten um eine Einladung, sondern vielmehr um eine Anerkennung der Realität und eine Beendigung eines Selbstbetrugs, da jedem bekannt sei, dass die betroffenen Menschen auch ohne die Neuregelung des Gesetzentwurfs in Deutschland bleiben, jedoch ohne die Perspektive auf eine Aufenthaltserlaubnis und ohne jede Sinnhaftigkeit und Möglichkeit, in einer so großen Zahl abgeschoben zu werden. Die Fraktion von Bündnis 90 / Die Grünen hebt wirtschaftliche Aspekte hervor: Lediglich ein Viertel aller Geduldeten sei im Besitz einer Arbeitserlaubnis. Das Verbot zu arbeiten, wie es etwa in Bayern besonders streng praktiziert werde, treibe die Geduldeten erst in die Sozialsysteme. Es sei daher sinnvoll, im Sinne der Betroffenen und auch der kleinen und mittleren Unternehmen, endlich den bestehenden gordischen Knoten zu zerschlagen. Die Fraktion der FDP macht die Ambivalenz deutlich: Man müsse die Realitäten anerkennen und feststellen, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei. Es sei angebracht, aus der Defensive herauszutreten und aktiv daran arbeiten, ungelöste Probleme der Vergangenheit zu lösen, Fehler der Vergangenheit zu korrigieren sowie klare Anforderungen und Erwartungen zu kommunizieren. Durch die Reform beschreite man behutsam, jedoch nicht verzagt einen

neuen Weg und verhindere, dass Menschen, die lange geduldet sind, über Jahre im Sozialsystem bleiben. Man öffne ihnen durch das Chancen-Aufenthaltsrecht Wege in den Arbeitsmarkt und integriere sie dadurch weiter. Die gefundene Lösung sei ein ausgewogener Vorschlag hierzu, der viele Chancen und nur wenige Risiken enthalte. Mit den „Problemen der Vergangenheit“ und „Fehlern der Vergangenheit“ dürfte die Fraktion der FDP die aus ihrer Sicht ungenügende Unterbindung illegaler Migration in der Vergangenheit meinen. Die Fraktion Die Linke befürwortet zwar das Chancen-Aufenthaltsrecht, hält jedoch einzelne Regelungen für zu restriktiv. Die Fraktion der Christlich Demokratischen Union Deutschlands/ Christlich-Sozialen Union in Bayern (CDU/CSU) betont, dass das vorliegende Gesetz strikt von der Frage des Fachkräftemangels zu trennen sei. Kritisiert wird neben Einzelregelungen, dass es im Kern bei der Reform darum gehe, Menschen, die bislang nicht ausreichend bei ihrer Identitätsklärung mitgewirkt hätten oder gar falsche Angaben gemacht hätten, ein Chancen-Aufenthaltsrecht zu gewähren. Die Alternative für Deutschland (AfD) lehnt das Gesetz zum Chancen-Aufenthaltsrecht ab. Hierin sehe man eine ungerechtfertigte doppelte Belohnung. Zunächst habe der Staat fehlerhaft gehandelt, als er seine Grenzen nicht ausreichend kontrolliert habe, und nun handele er erneut fehlerhaft, indem er keine Abschiebungen vornehme, sondern stattdessen aus Illegalität Legalität mache.x

Niederlassungserlaubnis

Die Niederlassungserlaubnis ist die beste Aufenthaltserlaubnis, die man in Deutschland erhalten kann. Die Niederlassungserlaubnis ist ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. Das bedeutet, dass die Niederlassungserlaubnis von der Ausländerbehörde nicht verlängert werden muss, sondern für immer gilt.

Eine Niederlassungserlaubnis erhält grundsätzlich, wer seit mindestens fünf Jahren eine Aufenthaltserlaubnis besitzt (die Asylverfahrensdauer wird eingerechnet), mindestens 60 Monate lang Beiträge zu einer Rentenversicherung geleistet hat (diese Voraussetzung kann auch durch Ehegatten erfüllt werden), seinen Lebensunterhalt sichern kann, über ausreichende Sprachkenntnisse verfügt, über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt, über ausreichenden Wohnraum für sich und alle mit sich zusammenlebenden Familienangehörigen verfügt und alle erforderlichen Erlaubnisse für eine dauernde Berufsausübung vorliegen hat (diese Voraussetzung kann auch durch Ehegatten erfüllt werden). Es dürfen darüber hinaus keine Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung entgegenstehen. So sind Sicherheitsüberprüfungen und die Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses erforderlich.

Wer eine Niederlassungserlaubnis erhalten hat, kann einfacher die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, kann leichter die Familie nach Deutschland holen, kann Kredite aufnehmen, kann nach Belieben nach Deutschland ausreisen oder einreisen und kann außerdem legal in Deutschland oder im Ausland arbeiten.xi

Zeitlich begrenzter Schutz

Theoretisch ist der Schutz von Verfolgten auf die Zeit der Verfolgung beschränkt. In der Praxis entwickelt sich aber der zeitlich begrenzte Schutz zu einem Daueraufenthaltsrecht, was nicht unproblematisch ist. Etwa 70% der in Deutschland Schutz suchenden Menschen bekamen 2023 bei inhaltlicher Prüfung ihrer Asylanträge einen Schutzstatus zugesprochen.xii Bei einer großen Zahl Asylanträge bedeutet das ein erhebliches Maß an Zuwanderung, zum Teil aus Staaten mit einer ganz anderen Kultur. Weil die Verfolgung oder Lebensgefahr oftmals viele Jahre andauert und die Zugewanderten inzwischen eine Arbeit gefunden und/oder familiäre oder sonstige persönliche Bindungen haben und in die hiesige Gesellschaft integriert sind, bleiben sie oftmals in Deutschland. Wenn es nicht zu einer freiwilligen Abwanderung kommt, trägt die Zuwanderung durch Flucht zu einer ständigen Erhöhung des Anteils der Bevölkerung mit Migrationshintergrund bei. Das kann bereichernd sein, aber auch Herausforderungen und Schwierigkeiten mit sich bringen. Die Vielfalt kann in der heimischen Bevölkerung Toleranz fördern, aber auch das Gefühl der Überfremdung hervorrufen. Letztes führt häufig zur Ablehnung der weiteren Aufnahme von Flüchtlingen.

i Vgl. https://www.integrationsbeauftragte.de/ib-de/ich-moechte-mehr-wissen-ueber/flucht-und-asyl/formen-des-fluechtlingsschutzes-1865022 ; https://www.bamf.de/DE/Themen/AsylFluechtlingsschutz/AblaufAsylverfahrens/Schutzformen/Asylberechtigung/asylberechtigung-node.html (aufgerufen jeweils am 17.06.2024).

ii Vgl. Nora Schmidt, Extraterritoriale Asylverfahrensstandorte. Neue Wege in der Europäischen Flüchtlingspolitik (Europäische Hochschulschriften Recht 6107), Berlin 2019, 41-49; Matthias Wagner, Offene Grenzen und Festung Europa. Eine systematische Analyse aktueller politischer Asyl- und Migrationskonzepte, Wiesbaden 2022, 29-30.

iii Vgl. https://www.bamf.de/DE/Themen/AsylFluechtlingsschutz/AblaufAsylverfahrens/Schutzformen/Asylberechtigung/asylberechtigung-node.html (aufgerufen am 17.06.2024).

iv Vgl. https://www.integrationsbeauftragte.de/ib-de/ich-moechte-mehr-wissen-ueber/flucht-und-asyl/formen-des-fluechtlingsschutzes-1865022 ; https://www.bamf.de/DE/Themen/AsylFluechtlingsschutz/AblaufAsylverfahrens/Schutzformen/Fluechtlingsschutz/fluechtlingsschutz-node.html (aufgerufen jeweils am 17.06.2024).

v Vgl. Nora Schmidt, Extraterritoriale Asylverfahrensstandorte. Neue Wege in der Europäischen Flüchtlingspolitik (Europäische Hochschulschriften Recht 6107), Berlin 2019, 53-57; Matthias Wagner, Offene Grenzen und Festung Europa. Eine systematische Analyse aktueller politischer Asyl- und Migrationskonzepte, Wiesbaden 2022, 30-31; https://www.bamf.de/DE/Themen/AsylFluechtlingsschutz/AblaufAsylverfahrens/Schutzformen/Asylberechtigung/asylberechtigung-node.html (aufgerufen am 17.06.2024). Zur EU-Massenzustrom-Richtlinie siehe Joachim Wolf, Flucht nach Europa: Fluchtursachen – Verantwortlichkeiten – Auswege, Münster 2021, 10-11. Speziell zur rechtlichen Lage bezüglich Klimaflucht siehe Sina Fontana, „Klimaflucht“ – Regelungsbedarf und Regelungspotentiale, Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik (ZAR) 43/2 (2023), 55-60.

vi Vgl. https://www.integrationsbeauftragte.de/ib-de/ich-moechte-mehr-wissen-ueber/flucht-und-asyl/formen-des-fluechtlingsschutzes-1865022 ; https://www.bamf.de/DE/Themen/AsylFluechtlingsschutz/AblaufAsylverfahrens/Schutzformen/Abschiebeverbote/abschiebeverbote-node.html (aufgerufen jeweils am 17.06.2024).

vii Vgl. https://migrando.de/blog/aufenthaltstitel/paragraf-25-abs-3-fakten-zum-abschiebungsverbot/ (aufgerufen am 24.10.2024).

viii Vgl. Petra Haubner, Maria Kalin, Einführung in das Asylrecht: Asylverfahren – Asylgerichtsverfahren – Materielles Recht, Baden-Baden 2017, 142-143.

ix Vgl. https://www.bmas.de/DE/Arbeit/Migration-und-Arbeit/Flucht-und-Aysl/Arbeitsmarktzugang-fuer-Gefluechtete/arbeitsmarktzugang-fuer-gefluechtete-art.html (aufgerufen am 24.10.2024).

x Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 20/3717 (Gesetzentwurf der Bundesregierung); Deutscher Bundestag, Drucksache 20/4700 (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres und Heimat, 4. Ausschuss).

xi Vgl. https://www.bamf.de/DE/Themen/MigrationAufenthalt/ZuwandererDrittstaaten/Migrathek/Niederlassen/niederlassen-node.html https://migrando.de/blog/niederlassungserlaubnis/niederlassungserlaubnis/ (jeweils aufgerufen am 24.10.2024).

xii Diese Zahl nennen Deutscher Caritasverband e. V., Kurzstellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) zur Verbesserung der Rückführung, 13.10.2023 und Stellungnahme der Diakonie Deutschland zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz), 13.10.2023.